Das Geserker Schützenfest …

… und seine Folgen

von Walter Wahle

 Die Behörden des Aufklärungszeitalters standen den Volksfesten weitgehend ablehnend gegenüber. Die lockere Ausgelassenheit, die sich bei den Festlichkeiten äußerte, widersprach den nüchternen Überlegungen des Verstandes. Zudem war das Volk nach dem Siebenjährigen Krieg verarmt, so dass Sparsamkeit eine Tugend der Klugheit war.

 

Dem wirtschaftlichen Denken dieses Jahrhunderts folgend begrenzte Anfang 1770 der Kölner Kurfürst Maximilian Friedrich mit päpstlicher Genehmigung die Feiertage. Ebenso bestimmte er zur Heiligung der Sonn- und Feiertage durch eine Verordnung vom 11. Mai 1770, dass öffentliche Feste, worunter das Vogelschießen ausdrücklich genannt war, erst am Sonntagnachmittag nach Beendigung der Vesper, bzw. der Nachmittagsandacht beginnen durften.

 

Eine weitere kurfürstliche Verfügung vom 26. Mai 1770 schränkte die Tanzerlaubnis für nur bestimmte Feiertage auf einen Tag ein. Hierbei waren die Schützenfeste nicht aufgeführt. Bei Verstößen gegen diese Regelung wurden die örtlichen Beamten, d.h. die Richter und Amtsdrosten, oder in den Städten der Magistrat, verpflichtet, Zuwiderhandelnde zu bestrafen. Überdies sollte an dem betreffenden Ort ein Jahr lang kein öffentliches Tanzvergnügen mehr stattfinden. Auch in Geseke wurden diese Erlasse verkündet. Dementsprechend hatte der Geschäftsführer der Schützenbruderschaft, Bürgermeister Adam Heinrich Hesse einen Antrag auf Tanzerlaubnis beim Schützenfest gestellt. Die Genehmigung war für einen Tag gegeben. Die Schützen haben aber in hergebrachter Weise ihr Schützenfest mit „einer dreitägigen Zecherei auf dem Rathaus bei dem Trommelschlag und gehabter Musik mit Tanzen und Springen“ gehalten.

 

Unter dem „Springen“ sind wahrscheinlich die jetzt noch üblichen Schreittänze zu verstehen. Diese öffentliche Feier und somit die Übertretung der kurfürstlichen Bestimmungen konnte nicht verborgen bleiben. Die staatlichen Beamten, Richter Christian Schmidmann und Drost Geheimrat Ferdinand Friedrich Freiherr von Hörde zu Schwarzenraben, mussten der Regierung zu Arnsberg Meldung machen. Diese ordnete eine Untersuchung durch eine besondere Kommission an, die unter Leitung des westfälischen Rats Engelbert Caspar Bigeleben stand. Auf deren Bericht hin erhob der Landfiskal Anklage gegen die Schützenbruderschaft, und die Regierung des Herzogtums Westfalen sprach am 27. Oktober 1770 das Urteil, das dem Drosten von Hörde zur Bekanntgabe zugestellt wurde.

 

Die ganze Schärfe richtete sich nicht gegen den Chef der Schützenkompanie, den 1769/70 regierenden Bürgermeister Franz Richards, sondern gegen den Geschäftsführer, den Leutnant der Kompanie, Bürgermeister Hesse, „weil er gegen klare Litter der unterm 26. Mai laufenden Jahres von hieraus erlassenen und eingestandenermaßen öffentlich verkündeten Verordnung durch angemaßte ungleiche Auslegung der hierunter ganz deutlich disponierenden Polizei-Ordnung die Glieder der Schützenbruderschaft“ zu der Übertretung „angeführt und verleitet“ hatte. Dafür wurde er mit einer Geldbuße von 10 Goldgulden belegt (= 15 Reichstaler).

 

Aber auch alle Teilnehmer des Schützenfestes traf eine Strafe „aus der Ursache, dass sie mit Verachtung beregter von der Kanzel und sonst publizierter Verordnung den Worten des Leutnant Hesse gefolgt und gar mit Weibern und ledigen Frauenspersonen gegen die ihm erstattete Erlaubnis zwei Tage länger auf dem Rathaus“ gefeiert hatten. Die Mitglieder, deren 53 waren, erhielten jeder eine Brüchte von 2 Goldgulden (= 3 Rtlr). Alle Bestraften hatten ihre Geldbuße binnen 14 Tagen nach Verkündigung des Urteils bei der kurfürstlichen Kanzlei zu Arnsberg zu entrichten, Widrigenfalls werde Zwangsbeitreibung erfolgen.

 

Außerdem wurde die Schützenbruderschaft insgesamt zur Tragung der Kosten verurteilt. Diese beliefen sich für die Untersuchungskommission auf 115 Rtlr 21 Groschen, an Kanzleigebühren auf 70 Rtlr 15 Gr., insgesamt also auf 186 Rtlr. Interessant bei den Verhandlungen ist einmal die geringe Zahl der Schützenbrüder. Schützenfest war noch nicht im heutigen Sinne ein Volksfest. Zum anderen enthält das Urteil die Liste derer, die am Fest teilgenommen hatten und welche jetzt dafür bestraft wurden. Es waren folgende: Bürgermeister Franz Richards, Hermann Utzel, Bernhard Leising, Christopher Marcks, Joseph Lucas, Bernd Richart, Joan Wilhelm Utzel, Franz Menne, Hermann Leonard, Franz Hollenhorst, Joan Heinrich Piesel, Wilhelm Hermessen, Joseph Brecker, Franz Heinrich Tilmann, Anton Brand, Joan Heinrich Wieneke, Wilhelm Tylmann, Wilhelm Bercke der Ältere, Jörgen Grothus, Heinrich Brecker, Heinrich Koene, Anton Leising, Johann Hermann Wagemann, Caspar Mencke, Conrad Grönenberg, Cyriakus Gödde, Bernd Engels, Heinrich Engels, Heinrich Hollenhorst, Anton Utzel, Caspar Hermessen, Joan Jurgen Wessel, Arnold Remm, Wilhelm Nüssen, Joan Bernd Rhode, Franz Sprenger, Wilhelm Lahme, Wilhelm Behnert, Heinrich Wieneke, Kämmerer Joan Peter Lübbeling, Joan Jürgen Senger, Joan Wilhelm Budde, Schneider Bernhard Rump, Franz Lohemeyer, Fritz Cortmann, Michael Engels, Franz Hencke, Joan Selbst, Wilm Besche der Jüngere, Conrad Rump, Joan Wilm Gödde, Joan Gerhard Duncker, Andreas Grothaus.

 

Es ist verständlich, dass das bittere Ende des fröhlichen Schützenfestes Unzufriedenheit unter den Beteiligten auslöste. Keiner möchte gern die Buße bezahlen. Offenbar richtete sich der Unmut der Betroffenen gegen die Leitung der Schützenbruderschaft, so dass es zu einem inneren Zerwürfnis kam, an dem die Bruderschaft zerbrach. Leesch berichtet, „1770 sei … die löbliche Schützengesellschaft … zertrennet und eingestellt worden.“ Dieses ist offensichtlich die Folge dieses Schützenfestes von 1770 gewesen.

 

Daher fand in den nächsten Jahren kein Schützenfest statt. Dies findet seinen Niederschlag in der Jahresrechnung der Stadtkasse Geseke. Denn nachweisbar schon in den ältesten erhaltenen Registern der Kämmerei zahlte die Stadt den Schützen einen Beitrag zu ihrem Fest, anfangs in Form von Getreide, vereinzelt seit 1656, regelmäßig seit 1666 in Geld und zwar am Vorabend gewöhnlich einen Reichstaler.

 

Außerdem trug die Stadt die Kosten für den Königshut und die drei Paar Lederhandschuhe, ein Paar für den König, eines für den Fähnrich und eines für den besten Schützen. Diese Zahlungen hören mit 1771 auf. Aber während Leesch nachweist, dass die Schützenbruderschaft 1777 neubegründet wurde, brachte sie offenbar die ersten Jahre noch kein Schützenfest wieder zu Stande. Erst seit 1785 erscheinen die Zuwendungen des Magistrats an die Schützengesellschaft wieder in der Stadtrechnung. Aber während die Zahlungen vor 1770 genau nach den einzelnen Aufwendungen, etwa für den Königshut mit den verschiedenen Formen der Ausstaffierung angegeben sind, wurde seit 1785 ein Pauschalbetrag von 5 Rtlr gezahlt. Diese Leistung ist bis 1808 dauernd nachweisbar. 1809 fehlt sie in der Stadtrechnung mit der Begründung: „5 Rtlr für die Schützenkompanie fallen fort, weil selbige in diesem Jahr nicht existiert.“

 

Ob die von Leesch für 1777 erwähnte Verpfändung von silbernen Königsdenkmünzen mit den Vorgängen um das Schützenfest von 1770 zusammenhängt, lässt sich bei dem Mangel an Einzelnachrichten nicht entscheiden. Denkbar ist, dass die zu gesamter Hand verhängte Zahlung der Verfahrenskosten von der Schützenbruderschaft übernommen und nach ihrer Wiederbegründung abgetragen wurde.

 

Nur vermutungsweise möchten wir hinweisen auf eine weitere mögliche Folge des Schützenfestes von 1770. Leesch erwähnt, das Bürgermeister Hesse als Schützenkapitän nach der Neubegründung der Schützengesellschaft 1777 gehandelt habe. In älterer Zeit war die Führung der Schützen mit dem Amt des regierenden Bürgermeisters verbunden. Es lässt sich nun nicht nachweisen, dass Hesse in den Jahren um und nach 1777 amtierender Bürgermeister gewesen wäre. Es müsste demnach eine Verfassungsänderung stattgefunden haben, dass die Schützenbruderschaft aus einer kommunalen Organisation ein privater Verein geworden sei. Diese Frage wäre freilich nur durch ein näheres Aktenstudium zu klären, sofern Quellen vorhanden sind.