Vorexerzieren vor „50 Jahren“

von Dr. Berthold Leinemann

 

Vorexerzieren der Sebastianer, das klingt so nach militärischem Schliff, ist aber heute eine ganz friedliche Angelegenheit.

 

Da werden die letzten Regularien vor dem Schützenfest erledigt, wie das Grünholen und das Schmücken der Festhalle. Die Wege der Festmärsche und was sonst noch alles dazugehört, werden festgelegt, um das Fest schön zu gestalten.

 

Ja, vor 50 oder 60 Jahren, da war alles noch ganz anders, da gehörten wir ja noch zu Preußen. Da wurde noch das Gehen (sprich: Marschieren) geübt. Die Parade wurde in mühsamer Kleinarbeit gedrillt und die zukünftigen Hammel (Fachausdruck für Rekruten) von altgedienten Feldwebeln oder Unteroffizieren auf dem Schützenplatz nach altpreußischer Manier bewegt und geschliffen.

 

Den alten Soldaten traten beim Zuschauen die Tränen der Rührung in die Augen, wenn eine ganze Kompanie (im Laufschritt versteht sich), schwenken musste, der in Vierer-Gruppe untergehakt der zünftige Parademarsch eingebläut wurde.

 

Eine nette Story aus der Zeit vor genau XX Jahren (1928) ist mir noch in lebhafter Erinnerung.

 

Wieder war man zum Vorexerzieren angetreten, um von einem übereifrigen Unteroffizier auf stramme preußische Art bewegt zu werden; das wurde Schützenbruder Jans doch zu viel. Er trat mitten während des Übens aus der geschlossenen Reihe heraus und erklärte seinem Feldwebel: „Dutt Schaskermanöver make ik nit mahr mit.“

 

Dann zog er sich wütend an die Theke zurück und spülte seinen Groll auf alles Preußische mit einem frischen Glas Gerstensaft hinunter.

 

Das war in den Augen des Feldwebels, er hatte in Metz gedient, ein unerhörter Affront, der dem Oberst Phillip Thoholte gemeldet werden musste. Die Spezies Mensch, die man heute Kriegsverweigerer nennt, kannte man damals noch nicht.

 

Der Oberst fasste also den unumstößlichen Entschluss, dem Delinquenten vor versammeltem Bataillon eine Rüge zu erteilen.

 

Da geschah etwas Unvorhergesehenes. Unser Delinquent und Sünder gegen das preußische Reglement schoss am Schützenfestsamstag den Vogel ab und wurde Schützenkönig.

 

Als dem Oberst die Meldung vom Königsschuss überbracht wurde, fragte er erstaunt: „Ist das der Nolte, den ich bestrafen sollte?“ Augenzwinkernd erfolgte die Antwort des Adjutanten: „Jawohl, Herr Oberst, er ist es.“

 

Nun kann man ja Könige nicht bestrafen, wenn sie eine eigene Meinung haben. Die Rüge unterblieb und das Schützenfest wurde in althergebrachter, friedlicher Weise gefeiert.

 

(entnommen der Festzeitschrift zum 575-jährigen Jubiläum.)