Die Anfänge …

… bis zur Neuorganisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts

von Hans Peter Busch

Wie bei allen frühen westfälischen Schützenbruderschaften findet sich auch in Geseke keine Urkunde, die die Gründung oder Aufrichtung der Gesellschaft bezeugt. Die erste Nachricht, die die Existenz der Bruderschaft in der Stadt belegt und die heute als maßgebend für das Alter der Bruderschaft angenommen wird, findet sich im Archiv der Stadtpfarrkirche; Kampschulte zitiert sie in seinen Beiträgen zur Geschichte der Stadt Geseke:

„dat lecht sunte Sebastian in der kerken sunte Peters, dat den schutten to behoret“

Diese „schutten“ setzt er mit der heutigen Bruderschaft gleich. Leesch erläutert diese kurze Erwähnung und macht auch einige Angaben zur Quelle.

Die besiegelte Pergamenturkunde, auf die sich Kampschulte stützt, war zum Zeitpunkt der Arbeit von Leesch schon verlorengegangen, jedoch führt er eine kurze Inhaltsangabe an, die in einem im 19. Jahrhundert angelegten Verzeichnis der Urkunden der Stadtpfarre erhalten ist:

„Am 17. August 1412 (feria quarta infra ostavam assumptionis Moriae) überträgt vor Bürgermeister und Rat zu Geseke Hinrich Lodewig einen Garten am Stadtgraben zu Geseke an die Vormünder

der Bruderschaft St. Fabiani und Sebastiani zugunsten des Lichts St. Sebastiani in der Peterskirche ‚dat den schutten tobehoret‘.

Die Vormünder der Bruderschaft sollen für die Durchführung dieser Stiftung sorgen. Es handelt sich hier also um eine kirchliche Stiftung, nicht etwa um eine Vermögensübertragung an die Schützenbruderschaft selbst. …“

Hier haben wir die älteste überlieferte Nachricht über die Schützen in Geseke vorliegen, eine gesicherte Quelle, die nach der Ansicht von Sauermann nicht viele Schützenbruderschaften vorweisen können:

„So plagten sich die Lippstädter Schützen jahrzehntelang mit der Jahreszahl 1332 herum, die sie auf einer Fahne zu lesen glaubten, und die Soester Schützen gründen ihre Traditionen sogar auf das Jahr 1224. Jahreszahlen sind geduldig.

Es schmerzt natürlich, das Geseke als Nachbarstadt der beiden eben genannten Städte, mit einer abgesicherten Jahreszahl, nämlich 1412, aufwarten kann.“

Diese Jahreszahl wird von der heutigen Schützenbruderschaft als Beginn ihrer Geschichte angenommen und im Namen der Gesellschaft geführt. Allerdings vertrat Alfred Bruns in einem Vortrag vor dem Geseker Heimatverein eine detailliertere Ansicht über die Entstehungszeit der Geseker Schützen. Er befasste sich mit der Stadtgeschichte im 14. Jahrhundert und glaubt, die Anfänge des Schützenwesens um 1370 ansetzen zu können. Als Beleg für seine These zieht einen Vergleich zwischen dem von ihm erörterten Geseker Amtbuch und ähnlichen Statuten der Stadt Brilon und kommt zum Schluss, dass die Entwicklung der Schützen in Brilon, anzusetzen zwischen 1362 und 1417, mit der Entstehung einer Schützengemeinschaft in Geseke zwischen 1370 und 1412 zu vergleichen sei.

Er führt dazu aus: „Grundlage der Wehrpflicht war die Bürgergemeinschaft mit ihrem Gebot, Leben und Eigentum der Mitbürger zu schützen und auch den eigenen Besitz … dafür einzusetzen. Führer der Stadtverteidigung waren zunächst Bürgermeister und Rat, das sagt die Briloner Kriegsordnung klar aus, das lässt sich aber auch dem Geseker Statut entnehmen: to donde der stad, der Stadt zu helfen, die den Bürger dazu befehlen – eschen – kann. In Brilon zwischen 1362 und 1417, in Geseke zwischen 1370 und 1412 entwickelten sich dann in den Stadtbezirken Schützengemeinschaften, die aber erst in ihrer Gesamtheit eine Korporation bildeten, wohl noch lange Zeit auf das Kommando des Bürgermeisters hörten, ehe sich ein eigenes Oberstenamt formte.“

In Geseke wurde bis in die jüngste Vergangenheit hinein das Amt des Vorstehers der Gesellschaft häufig vom Bürgermeister der Stadt wahrgenommen. In der Liste der Kommandeure der Bruderschaft finden sich unter 22 namentlich bekannten Befehlshabern allein acht Bürgermeister bzw. Schultheißen der Stadt. Wie aus den Ausführungen Bruns zu entnehmen, ist die Entwicklung von Schützengemeinschaften im späten Mittelalter nicht von der Entstehung und Ausprägung der städtischen Gemeinwesen zu trennen. Alle dem Verfasser bekannte Autoren gehen davon aus, dass als eine Wurzel des städtischen Schützenwesens die Verteidigungspflicht aller Bürger zu gelten hat.

Den neuen Bürgern einer Stadt wurde bei „der Aufnahme in den Stadtverband der Eid abverlangt, die Bürgerpflichten treu zu erfüllen. Außerdem wurde ihnen die Verpflichtung auferlegt, sich ein ’schießendes Gewehr‘ und einen Ledereimer vom Rathaus zu beschaffen.“

Aus der allgemeinen Dienstpflicht für alle Bürger kristallisierten sich die Schützenvereinigungen als Träger besonderer Schießübungen heraus. Als freiwillige Vereinigungen trugen sie unterschiedliche Bezeichnungen. Bruderschaft und Gesellschaft tauchen ebenso auf wie der Begriff Schützenkompanie. Dabei zeigt schon ein grober Überblick über die vorhandenen Quellen, dass diese Begriffe auch gleichzeitig Verwendung fanden.

Im neunzehnten Jahrhundert kam dann noch der Begriff Verein hinzu. Die Schützengesellschaft bestand in Geseke bis zum 19. Jahrhundert nur aus wenigen Mitgliedern. Lappe kommt auf eine Anzahl, die 2% der Stadtbevölkerung ausmachte.

Der Rat der Stadt nahm regelmäßig Einfluss auf die Besetzung der Führerstellen der Schützen. War der Bürgermeister nicht selbst der Führer der Gesellschaft und wollten die Schützen eine Leiterposition besetzen, so mussten sie eine Vorschlagsliste vom Rat genehmigen lassen. Die Wichtigkeit der Schützen für die Stadtobrigkeit kann nur aus verschiedenen Umständen geschlossen werden.

Die Schützen trafen sich an jedem Sonntag zu Schießübungen in einem Garten vor der Stadt, der der Gesellschaft gehörte. Sie schossen bis zum 19. Jahrhundert auf Scheiben. Das Vogelschießen wurde erst 1830 eingeführt. Für die siegreichen Schützen setzte die Bruderschaft Preise aus, silberne Löffel, neue Hüte und Handschuhe werden genannt. Die Auszeichnungen mussten von den Scheffern bereitgestellt werden. Dazu erhielten sie zu Beginn ihrer Amtszeit zwei Taler ausgehändigt, die sie am Ende ihrer Dienstzeit wieder abliefern mussten. Um die Schießpreise zu beschaffen, mussten sie bei jeder Übung Schießgeld von den Teilnehmern erheben. Die Finanzierung der gleichzeitig stattfindenden Zehrungen musste ebenfalls von den Scheffern garantiert werden.

Einmal im Jahr veranstalteten die Schützen ein großes Fest, ebenfalls mit einem Preisschießen verbunden. Dazu spendierte die Stadt regelmäßig Gerste zum Brauen des Bieres und stiftete einen neuen Hut für den König. Der neue König wurde außerdem mit dem Schützenkleinod geschmückt.

Dieses Kleinod wird ein besonderer Teil in dieser Festschrift behandeln. Die Schießwettbewerbe beschränkten sich nicht nur auf den Vergleich innerhalb der Gesellschaft, zu Preisschießen lud der Rat die Schützen aus den Nachbargemeinden ein. Auch wurden die Geseker Schützen zu Vergleichskämpfen in die benachbarten Städte gebeten.

Ob die Schützen ihre in den Schießübungen erworbenen Kenntnisse im Ernstfall einsetzen mussten, lässt sich aus den vorhandenen Quellen nicht mehr genau nachvollziehen. Lappe führt die Belagerung der Stadt durch Christian von Braunschweig im Jahr 1622 an, bei der „die alte Fahne auf der Mauer mit großen Geschützen fast völlig zerstört und zerschossen“ wurde und schloss daraus, dass der Beitrag der Schützen anlässlich der erfolgreichen Verteidigung durch kaiserliche Truppen unter Othmar von Erwitte besonders gewichtig gewesen sein muss.

Auch musste die Stadt Schützen stellen, die der Landsherr für seine Kriegszüge heranzog. Es ist aber nicht zu klären, ob diese Schützen Mitglieder der Schützengesellschaft gewesen sind.

Die Verbesserungen im Militärwesen führten zu Änderungen bei der städtischen Selbstverteidigung. Stadtmauern und Türme hatten im Vergleich zu modernen Festungsanlagen keine Chance bei einer Belagerung mehr. Die Landesverteidigung übernahm der Kürfürst mit speziell ausgebildeten Truppen. Die Schützen erhielten in der Folge, andere Aufgaben zugewiesen. Wahle nennt aufgrund seiner Quellenstudien Polizeieinsätze zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Es mussten gewalttätige Randalierer festgenommen und die Einfuhr von Ernten gesichert werden, Aufgaben, die die Bediensteten der Stadt allein nicht bewältigen konnten.

Falsch wäre es, aus den angeführten Punkten einen ausschließlich militärisch-polizeilichen Charakter der Schützengesellschaft vor 1830 feststellen zu wollen. Die von Lappe ausgewerteten Quellen lassen den Schluss zu, dass sich das Leben in der Vereinigung keineswegs auf militärische Übungen und Einsätze beschränkte. Die vom ihm zitierten Schützenordnungen aus den Jahren 1684 und 1723 geben ein vielschichtigeres Bild wieder. In der Ordnung von 1684 heißt es unter Punkt 5:

„Sollen alle Schützenbrüder gehalten sein, bey absterben ein und anderen mitgliedes zur Kirchen zu gehen, und das bey straf zweyer groschen.“

Also hatten die Schützen verstorbenen Mitgliedern das Totengeleit zu geben. Diese Vorschrift existierte mindestens seit 1613. Der ethische und religiöse Charakter der Gesellschaft zeigte sich auch durch gelegentliche Unterstützung von Bedürftigen.

Ein großes Problem scheint der Alkohol bei den Festen der Schützen gewesen zu sein. Die Schützenordnung von 1723 führt dazu aus:

„Soll keiner von den schützen Brüdern aufm marckt oder mars(ch) sich ausgelassen stellen, sich weltzen noch unartig rufen, ausschreyen undt tumultiren bei straf der Cassation.“

(Ein Vergleich dieser Satzungsbestimmung mit dem Zustand der Schützen bei den sogenannten ‚Wackelzügen‘ zur Abholung der neuen Königin am Schützenfest-Samstag drängt sich hier dem Leser geradezu auf.)

Schon vorher wurde in den Satzungen festgelegt: „soll keiner, …, den Kindern auch nicht überflüssig zu drincken geben.“

Erklärlich wird diese Bestimmung, wenn man sie in Zusammenhang mit umfangreichen Regelungen über die Aufgaben der Scheffer bringt. Das Einsammeln der Gerste, das Brauen des Bieres, der Ausschank auf dem Fest und die Verwahrung der Trinkgeschirre nehmen die Hälfte aller Bestimmungen der Ordnung von 1684 in Anspruch.

Am Schlusspunkt dieser Entwicklung von einer militärisch ausgerichteten Gemeinschaft mit gleichzeitigem religiösen und geselligem Charakter zu einer Gesellschaft, die sich fast nur noch auf Festfeiern beschränkte, standen die Ereignisse, die Walter Wahle in seinem hier anschließend abgedruckten Aufsatz beschreibt.