Die Schützen und die Juden…
… im 19. Jahrhundert
von Hans Peter Busch
Während des gesamten 19. Jahrhunderts gab es zwischen den Bewohnern Gesekes jüdischen Glaubens und dem Schützenverein Spannungen, deren Ursachen letztendlich wohl nicht geklärt werden können, zumal die entsprechenden Akten im Stadtarchiv seit einigen Jahren fehlen. Dieser Umstand findet auch bei Arno Herzig Erwähnung. Stehen auch die von Herzig angesprochenen antijüdischen Ausschreitungen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Schützen, so berührten sie doch das Schützenfest in den Jahren 1844 und 1845 entscheidend. Auch die anderen Reibungspunkte zwischen Juden und Schützen könnten wohl exakter erforscht werden, wenn die insgesamt 49 Aktenstücke noch zur Verfügung ständen, die bei der Ordnung des Archivs der Stadt 1958 im Verzeichnis erwähnt sind.
Die ersten Auseinandersetzungen resultierten aus der Tatsache, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Fest der Schützen wegen der Baufälligkeit des Rathauses nicht mehr dort gefeiert werden konnte und die Schützen nach einem geeigneten Festplatz suchten. Dieser bot sich ihnen in Gestalt des Schützenhagen vor dem Steintor an. Dieser Hagen, also vor den Mauern gelegene Garten war schon früher Austragungsort von Schießübungen gewesen, selbst die Landwehr hatte dort schon geübt.
Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Isaac Goldschmidt, und der Rabbiner Hirsch Cohen erhoben dagegen Einspruch, weil sie befürchteten, dass der in unmittelbarer Nähe gelegene jüdische Friedhof durch das Schützenfest entweiht würde. Die Schützen konnten zwar darauf verweisen, dass nur der Schützenzug direkt an den Gräbern vorbeizöge, während das eigentliche Fest in einiger Entfernung vom Friedhof stattfinde, doch der Landrat verbot sowohl Schießen wie das Tanzen.
Die Schützen hielten trotzdem ihr Scheibenschießen auf dem Platz ab, wohl, weil in der Kürze der Zeit kein anderer Platz gefunden werden konnte. Der Tanz dagegen wurde in einen anderen Saal des Rathauses verlegt. Allerdings kam es aufgrund der Proteste seitens der Judenschaft zu antijüdischen Kundgebungen. Der antisemitische Schmähruf „Hep, hep“ wurde laut und von der Musik ein so genannter Judenwalzer, den Leesch für eine Parodie jüdischer Kultgesänge hält, intoniert, der als Provokation empfunden wurde und zu neuen Protesten des Rabbiners beim Landrat führte.
Die neu errichtete Gesellschaft hatte in der ersten Fassung der Satzung noch keine Bestimmungen über die Behandlung der Juden gefasst. Im Jahr 1831 wurde dann geregelt, dass die Juden nur als Festgenossen, nicht aber als Schützen am Fest teilnehmen konnten, da sie keine Bürger seien.
1844 kommt es schließlich zu den Vorfällen, von denen wir nur durch den Aufsatz von Konrad Pohlmeier und einen Zusatz von Arno Herzig Kenntnis haben. Danach hatte das Verschwinden eines zum katholischen Glauben übergetretenen Kaufmannssohnes aus Geseke zu Gerüchten geführt, dass dieser Bernhard Löwenbach mit Gewalt zu einem jüdischen Gelehrten gebracht worden sei, um dort zu seinem alten Glauben zurück gewonnen zu werden. Obwohl der Junge nach Geseke zurückgebracht wurde und bei Pastor Schenk Aufnahme fand, hatten die verschiedenen umlaufenden Gerüchte zu Unruhen in der Bevölkerung geführt, die sich in Ausschreitungen gegenüber den Juden entlud.
Da die Täter unerkannt blieben, wurden die Vorwürfe gegen Stadtverwaltung und Polizei immer größer. Und gerade in dieser Zeit wollten die Schützen ihr Fest feiern. Um die Bedenken des Magistrats zu zerstreuen, verpflichteten sie sich, Patrouillen in den Straßen der Stadt zu stellen. Trotzdem kam es gerade in den Nächten des Festes wieder zu größeren Sachbeschädigungen, obwohl die Polizeistunde auf zehn Uhr festgelegt worden war.
Nach diesen Vorfällen verbot der Regierungspräsident alle Festlichkeiten für das Jahr 1844. Trotzdem hielten die Ausschreitungen bis zum November an. Dies wirkte sich auf den Schützenverein aus. Am 4. März 1845 teilte der Magistrat der Stadt dem Vorstand mit, dass aufgrund der Verfügung der Königlichen Regierung vom 5. Juli 1844 im laufenden Jahr kein Schützenfest gefeiert werden dürfe, da in den Gärten der Juden Früchte zerstört worden seien.
Daraufhin wandte sich der Schützenvorstand an die Regierung in Arnsberg mit der Bitte, das Schützenfest feiern zu dürfen. Unter anderem führte man aus: „Nebenbei sei uns zu bemerken erlaubt: Die Schützenmitglieder müssen Bürger der hiesigen Stadt sein, einen unbescholtenen Ruf haben und einen unbescholtenen Lebenswandel führen. Das Schützenfest ist die einzige Lustbarkeit, die hier stattfindet. Tanzbelustigungen, Erntefeste pp welche an den meisten Orten vielfach statt haben, sind hier ganz abgeschafft, und sind die Bürger von Gesecke nur auf dieses Schützenfest beschränkt. Wenn ihnen daher auch noch dieses Fest entzogen wird, dann haben sie nichts mehr, um auf einige Tage von den Mühseligkeiten dieses Lebens sich zu erholen. Die Juden, welche gern an dem Schützenfeste theilnehmen wollen, sind von der Theilnahme an demselben ausgeschlossen, weil sie keine Bürger, vielmehr bloß toleriert sind und nach den Statuten nur Bürger an dem Schützenfeste theilnehmen können. Hierbei können wir nicht unbemerkt lassen, wer hat wohl die Früchte in den Gärten der Juden zerstört? Um den Gesecker Bürgern die letzte Freude zu rauben.“
Nachdem die Regierung keine Veranlassung sah, das Fest wieder zu gestatten, beschwerte sich die Schützenfestgesellschaft beim Ministerium des Innern und der Polizei in Berlin. Auch in diesem Schreiben wies man auf das harmlose Fest der Schützen hin, das in keinem Zusammenhang mit den Unruhen gestanden habe und betonte die Folgen, die ein Verbot des Festes nach sich ziehen würden: „Kann man es wirklich mit auch nur einiger Kenntniß des Lebens nicht einsehen, daß die Stadt die fragliche Verfügung (d. h. das Verbot des Festes) da die Juden nicht als Mitglieder Schützenfestes zugelassen werden, als eine denselben gewährte Genugthuung, worüber sie sich bass erfreuen werden, als eine Kränkung der Christen gerade zur Freude der Juden ansehen werde. Kann man es übersehen, dass, wo einmal ein solcher Stachel in eine ganze Menge gesenkt ist, sehr leicht aus Übel Ärger werden kann. Niemand wird für die Gefühle der Bürger, namentlich der minder gebildeten, leicht erregten, während der Tage des im Interesse der Juden vereitelten Schützenfestes bürgen können. Man muss die Gefühle der Menge wenig kennen, um dies nicht einzusehen. Ist es Hochlöblicher Regierung um die Erhaltung der Ruhe um allmählicher Beilegung der vorigjährigen Zerwürfnisse zwischen Christen und Juden zu thun, so folge sie wenigstens dem Beispiele der verständigen Menge in Geseke, die vergessen hat, so rege sie nicht unnöthig herausfordernd eine ganze Stadt auf. Unsere Zeit erfordert Weisheit, Umsicht von den Regierungen, sie will Gründe sehen, bloße Willkühr wird nicht mehr anerkannt. Wir wissen, dass dies auch die Ansichten des Hohen Ministeriums und Sr. Majestät sind.“
Die zweite Abteilung des angeschriebenen Ministeriums antwortete der Schützengesellschaft in aller Kürze: „Der Schützen-Gesellschaft zu Geseke wird auf die unterm 12. Juli d. J. bei der König. Majestät eingereichte Vorstellung unter Rücksendung der Beilagen eröffnet, dass es allerhöchstem Befehle zufolge bei dem ergangenen Verbote der diesjährigen Feier des dortigen Schützenfestes verbleiben muss.“
Die Gesellschaft muss sich also noch direkt an den preußischen König gewandt haben. Von diesem Schreiben liegt aber keine Abschrift vor. Zeigte sich hier eine keineswegs freundliche Haltung der Schützen gegenüber den Juden, so änderte sich die Ablehnung nach der Einführung des Gesetzes vom 23. Juni 1847.
Offensichtlich durch die Emanzipationsgedanken ermutigt, stellten vor dem 14. Juni 1848 vier Geseker Juden den Antrag auf Aufnahme in den Verein. Dieser Antrag wurde vom Vorstand mit einem Stimmenergebnis von sechs zu zehn abgelehnt und den Juden mitgeteilt.
Doch schon einige Jahre später finden sich in den Protokollen die Namen einzelner Juden, die in den Verein aufgenommen wurden und Anträge anderer Juden, die um Aufnahme baten. Ein Jude wird später sogar als vierter Stellvertreter für den Schützenausschuss gewählt. Allerdings konnten die Juden nicht reibungslos in das Festgeschehen eingegliedert werden. Am 5. Juni 1853 legt der Vorstand fest, dass „wenn ein Auswärtiger oder Israelit den Vogel abschießt, soll der die Königswürde bekommen, der nach ihm auf der Liste des Feldwebels steht.“
Beweggrund für diese Satzungsänderung war, dass das Königsschild mit christlichen Bildern und Symbolen geschmückt war und das Fest mit einem christlichen Gottesdienst begann. Ein Jude könne aber unmöglich am Gottesdienst teilnehmen und sich mit christlichen Symbolen schmücken. Ob noch andere Gründe vorlagen, um die Juden auszugrenzen, lässt sich anhand des Quellenmaterials nicht ermitteln. In der gleichen Sitzung wurde außerdem festgelegt, dass dem König die Wahl einer Königin weiterhin zugestanden wird und nicht dem Vorstand die Wahl überlassen bleibt. Hier zeigt sich ein Unterschied zu der noch heute geübten Praxis bei den Paderborner Schützen.
Den Beschluss über die Juden revidierte man schon drei Wochen später. Nachdem ein Jude aus der Gesellschaft ausgetreten war und sich alle anderen jüdischen Mitglieder vom Fest abgemeldet hatten, legte man fest, dass die schon eingetretenen Juden die Königswürde erlangen könnten und auch die Insignien mit Ausnahme des Schützenschildes tragen sollten. Über die Regelung des Kirchganges wurde keine Angabe gemacht.
Im darauf folgenden Jahr verwendeten sich zehn Mitglieder der Gesellschaft für die Aufnahme des Simon Rosenthal, da er mit ihnen zusammen freiwillig beim Militär gedient habe.
Schon 1860 trübte sich das Bild der Eintracht wieder. In den neu aufgestellten Statuten des Jahres 1858 wurden den Juden Beschränkungen auferlegt. Sie konnten nicht mehr die Königswürde erlangen und waren auch in ihrem Wahlrecht eingeschränkt. Deshalb weigerten sich die Juden, die Satzung zu unterschreiben und beschwerten sich bei der Regierung in Arnsberg, nachdem ihr Protest den Schützenvorstand nicht umstimmte. Die preußischen Behörden sahen aber keinen Grund zum Einschreiten und antworteten: „Auf ihre Anträge vom 29. Mai und 15. Juni betreffend das erbetene Einschreiten gegen den die Schützenbrüder jüdischen Glaubens von der vollen Mitgliedschaft der neu constituierten Schützengesellschaft zu Geseke ausschließenden Beschluss der Mitglieder christlichen Glaubens daselbst eröffnen wir Ihnen, dass die Gesetze den Verwaltungsbehörden keinen Einfluss auf derartige Beschlüsse von Privatgesellschaften einräumen, wir also nicht in der Lage sind unsererseits einzuschreiten. Möchte es sich übrigens in vorliegendem Falle um eine Beleidigung Einzelner von Ihnen oder um die Verletzung von Privatinteressen handeln, welche Ihnen als Mitglieder der älteren und aufgelösten Schützengesellschaft etwa zugestanden, so können wir Ihnen zur Klageerhebung bei Gericht überlassen.“
Zuvor hatte der Schützenvorstand der Bezirksregierung über den Landrat mitgeteilt, dass die Juden den auswärtigen Mitgliedern der Gesellschaft in ihren Rechten gleichgestellt seien. In späteren Jahren unternahmen die Juden erneut den Versuch, als Mitglieder gleichbehandelt zu werden.
Deshalb stellten sie 1867 einen entsprechenden Antrag und beschwerten sich nochmals in Arnsberg. Königliche Regierung ging zwar in einem Brief an die Gesellschaft auf die Ungleichbehandlung ein, unternahm aber keine Schritte, um die Diskriminierung abzustellen.
1886 konnte der Vorstand in einem Brief an die Regierung angeben, dass nur christliche Mitglieder der Gesellschaft angehörten. Die Juden hatten sich also offensichtlich zurückgezogen. Darauf deutet auch hin, dass in den Vorjahren die Juden sich immer vom Fest abmeldeten, also wohl kein Interesse an einer Teilnahme hatten. Auch in diesem kleinen Punkt war die Emanzipation der Juden erfolglos.
Ergänzung
Der Regierungspräsident Georg Wilhelm Keßler (1782-1846) wiederum äußerte sich in einem Bericht vom 27. Mai 1844 zu einem Vorfall in Geseke, in den Juden und Antisemiten verwickelt waren, mit deutlich antijüdischen Affekten. Ein jüdischer Junge war gegen den Willen seines Vaters in der katholischen Kirche zu Werl getauft und im Laufe der Streitigkeiten von der Regierung zu Arnsberg gegen den erbitterten Widerstand des Vaters unter die Kuratel eines katholischen Geistlichen gestellt und zum Gymnasium nach Paderborn gebracht worden war. Als jedoch die Unruhen und antisemitischen Umtriebe in Geseke weiter anhielten, ließ die Regierung in Arnsberg wegen der vorgefallenen Exzesse das Schützenfest des Jahres 1845 verbieten. Der Familie des Knaben blieb schließlich nichts anderes übrig, als nach Gütersloh überzusiedeln.
Offensichtlich entsprach die antijüdische Einstellung Vinckes und seiner Beamten weitgehend der Stimmung der Bevölkerung. Immerhin war es 1819 im Zusammenhang mit den so genannten Hepp-Hepp-Krawallen im gesamten Land auch in Westfalen an verschiedenen Orten, wie etwa in Enger und Hamm, zu antijüdischen Ausschreitungen gekommen, die sich 1833 und 1844/45 in Geseke (Regierungsbezirk Arnsberg) und im nahe gelegenen Dorf Störmede und 1843 in Minden (hier agitierte der Antisemit Heinrich Eugen Macard) wiederholten. Häufig griff das Militär ein, freilich weniger zum Schutze der Juden, als vielmehr um die öffentliche Ordnung zu sichern. In Arnsberg selbst war es allerdings um diese Zeit erfreulicherweise ruhig geblieben.
Durch eine Verordnung vom 8. Mai 1817 waren die jüdischen Eltern verpflichtet worden, ihre Kinder einzuschulen und Schulgeld zu zahlen. Von den Behörden war ihnen indessen zunächst untersagt worden, ihre Kinder dem „meistens auf ein halbes oder ganzes Jahr gedungenen Lehrer aus ihren Religionsverwandten“ anzuvertrauen, da diese „so wenig nach ihrem sittlichen Charakter als nach ihrer Geschicklichkeit zu Bildnern der Jugend geeignet“ seien. Trotz dieser mehr als unfreundlichen Unterstellungen konnte 1825 in Hüsten ein jüdischer Lehrer angestellt werden, der zuvor den „Normalkursus“ bei Pfarrer Friedrich Adolf Sauer (1765-1839) in Arnsberg erfolgreich absolviert hatte und dem die Befähigung für den jüdischen Elementarunterricht von Rabbiner Cohen zu Geseke bestätigt worden war.
(entnommen: Artikel von Ursula Hohmann)