Geschichte der Schützengesellschaft zu Geseke

von Dr. Wolfgang Leesch, Münster

 

Das städtische Schützenwesen Westfalens ist eine der wenigen Einrichtungen, in denen das Mittelalter lebendig bis heute fortwirkt. In Organisation und Brauchtum wie auch in den religiösen und heimatlichen Bindungen liegt auf dem heutigen Schützenwesen noch der Abglanz mittelalterlicher Schützenherrlichkeit. Die Anfänge des Schützenwesens verlieren sich im Dunkel des Hoch- und Spätmittelalters. Von kaum einer der bis in das Mittelalter und die frühe Neuzeit zurückreichenden Schützengesellschaften kennen wir ein Gründungsdatum. Die durch die Zufälle der Quellenüberlieferung bedingte erste Erwähnung oder die ältesten erhaltenen Statuten setzen in der Regel die Existenz der Gesellschaft schon voraus. Dies gilt auch für Geseke, wo für 1412 das Vorhandensein einer Schützenbruderschaft zu Ehren von St. Fabian und St. Sebastian bezeugt ist, die aber gewiss damals schon eine Reihe von Jahren bestanden hat, also älter als 550 Jahre ist. Dass keine Gründungsurkunden überliefert sind, nimmt nicht wunder, wenn man bedenkt, dass die mittelalterlichen Vereine durch freiwilligen Zusammenschluss oder wie die mittelalterlichen Handwerkergilden durch Obrigkeitliches Dekret entstanden und auch nicht, wie gelegentlich vermutet worden ist, aus kirchlichen Ordensgründungen hervorgegangen sind. Sie sind vielmehr nach militärischen Notwendigkeiten allmählich aus der allgemeinen Bürgerwehr erwachsen, also rein weltlichen Ursprungs, und beruhen auf der Wehr- und Verteidigungspflicht aller Bürger, sind also Zwangs- und Notgemeinschaften.

 

Die mittelalterliche Stadt ist ihrem Ursprunge nach in erster Linie eine Schutz- und Verteidigungsgemeinschaft, die in ihre Mauern, Wälle und Gräben zum Zwecke des Schutzes auch die Bewohner der benachbarten Landgemeinden einbezog. Gerade am Beispiel von Geseke hat der Geseker Landgeschichtsforscher Josef Lappe seine Theorie von der Ausbildung der mittelalterlichen Stadtflur aus der Einbeziehung einer Reihe benachbarter Dörfer, deren Bewohner hinter den Stadtmauern Schutz suchten, entwickelt. Die Bauern waren seit dem Hochmittelalter zum größten Teil unter die Hörigkeit von Adel und Kirche geraten, ihr militärischer Schutz war allein Aufgabe des Adels und seiner Dienstmannen. Nur vereinzelt hören wir aus dem Mittelalter von der militärischen Ausbildung der Bauern und von bäuerlichem Schützenwesen, erst seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert, als Westfalen in die kriegerischen Wirren des niederländisch-spanischen Kampfes einbezogen wurde, gingen Landesherren und adlige Gerichtsherren systematisch zur Aufstellung von bäuerlichen Heimwehren über, die freilich nicht gegen reguläre Truppen, sondern nur zur Abwehr räuberischer Überfälle und herumstreifender Freibeuter eingesetzt werden konnten. Anders in den Städten. Hier wurde jeder neu einziehende Bürger verpflichtet, an der Instandhaltung der städtischen Verteidigungsanlagen und während kriegerischer Zeiten auch an der Wacht, die in Friedenszeiten den beamteten städtischen Turmwächtern und Pförtnern oblag, und an der militärischen Verteidigung teilzunehmen und sich für diesen Zweck je nach sozialer und finanzieller Stellung eine bestimmte Waffe anzuschaffen, die er in seinem Hause für den Ernstfall bereit zu halten hatte. Nur wenige größere Städte konnten sich seit dem 13. Jahrhundert, jedoch in der Regel nur für bestimmte kriegerische Unternehmungen oder für militärischen Wachtdienst Söldner halten. Die Hauptlast der militärischen Verteidigung lag aber auch hier bei der Bürgerwehr, deren Kern die mit Armbrust, später mit Feuerbüchsen bewaffneten Bürgerschützen bildeten, während die minderbemittelten kleinen Handwerker und sonstigen Einwohner nur mit Speer und Pike antraten. Dort, wo ein reicher Kaufmannsstand vorhanden war, finden wir dessen Söhne im Dienst zu Pferde; sie hielten ihre militärischen Übungen nach dem Vorbilde der ritterlichen Turniere vor den Toren der Stadt ab. Auch die Bürgerschützen mussten, um verteidigungsbereit zu sein, regelmäßig Schießübungen abhalten, für die ihnen der Rat der Stadt einen Platz vor der Stadtmauer zur Verfügung stellte. Da sich aber unter den Bürgerschützen zahlreiche weniger wehrtaugliche Mitglieder befanden und viele Bürger auch die Opfer an Zeit und Geld für die regelmäßigen Militärübungen nicht aufbringen konnten, entstand innerhalb der Bürgerschützen eine besondere Elitetruppe, die jederzeit einsatzbereit sein und vor allem auch für militärische Anlässe geringerer Art, für die nicht die gesamte waffenfähige Bürgerschaft aufgeboten zu werden brauchte, zur Verfügung stehen musste. Diese Elitetruppe schloss sich dann nach dem Vorbilde der niederländischen Schützenkompanien zu einer Gemeinschaft, einer Schützengesellschaft, zusammen, die ihre eigenen Statuten und ihre eigene Fahne erhielt. So wenig wie die Zugehörigkeit zur Bürgerwehr eine freiwillige war, so wenig kann auch der Beitritt zur Schützengesellschaft damals freiwillig gewesen sein. Vielmehr musste der Rat ja größten Wert darauf legen, eine möglichst große und schlagkräftige Elitetruppe zur Verfügung zu haben, und deshalb im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht möglichst alle besonders tauglichen Bürgerschützen zur Schützengesellschaft einberufen.

Anders als gegenüber den Werkergilden, über die sich der Rat nur die Gewerbeaufsicht vorbehielt, nahm er – wie uns die älteren erhaltenen Statuten allenthalben zeigen – auf die Schützengesellschaften stärksten Einfluss. Ihre Führer, die in der Regel gleichzeitig militärische Berater der Bürgermeister in den Angelegenheiten der Bürgerwehr waren und deren Waffen regelmäßig zu überprüfen hatten, wurden vom Rat ernannt, zuweilen waren die Bürgermeister von Amts wegen, wie es auch für Geseke im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert nachweisbar ist, Obersten oder Kapitäne der Schützengesellschaften.

 

Die Entstehung der Schützengesellschaften dürfte in den meisten Städten, auch dort, wo die Überlieferung erst in späterer Zeit einsetzt, in das 14. Jahrhundert zurückgehen, als die zahlreichen städtischen Bündnisse und die Landfriedensbewegung erhebliche militärische Verpflichtungen für die Städte mit sich brachten. In den Schützengesellschaften fand man das Instrument, das man über die bloßen Verteidigungsaufgaben hinaus auch für kleinere militärische Unternehmungen außerhalb des Stadtbezirks einsetzen konnte, ohne die Stadt völlig von Verteidigungskräften zu entblößen – blieb doch die allgemeine Wehrpflicht auch für die nicht in die Schützengesellschaft eingegliederten Bürger in vollem Maße bestehen – und ohne, dass dadurch Gewerbe und Wirtschaft in der Stadt zum Stillstand gekommen wären. Die allgemeine Bürgerwehr brauchte nur noch in Zeiten äußerster Not einberufen zu werden. Darüber hinaus konnten die Mitglieder der Schützengesellschaften vom Rat für polizeiliche Aufgaben herangezogen werden, für die die wenigen beamteten städtischen Polizeikräfte, die Torpförtner, Landwehrwächter, Nachtwächter und Stadtbüttel, nicht ausreichten. Für Exekutionen, für Gefangenentransporte und -bewachung, für Vagabundenjagden, für Flurschutz und für Geleitschutz städtischer Beamter auf Dienstfahrten wurden sie herangezogen, wofür sie in der Regel, mindestens hinsichtlich ihrer Unkosten, entschädigt wurden, wie uns auch aus Geseke durch Abrechnungen des ausgehenden 17. Jahrhunderts überliefert ist. Vor Ehrengästen und hohen landesherrlichen Beamten, wie z. B. in Geseke 1803 vor dem fürstlichen Kommissar Stracker, hatten sie zur Parade aufzumarschieren und Wachen zu stellen.

 

Wie alle mittelalterlichen Vereinigungen, insbesondere auch die Handwerkergilden, bildete jede Schützengesellschaft zugleich eine kirchliche Bruderschaft und übte als solche religiöse und karitative Funktionen aus. In Zeiten wütender Seuchen wurden sie zur Krankenpflege und zur Bestattung der Toten eingesetzt. Bei kirchlichen Prozessionen taten sie Ehrendienst und feuerten in manchen Städten, wie es uns z. B. aus Warburg überliefert ist, an jeder Station eine Salve ab. Durch Spenden und Sammlungen für die Armen betätigten sie sich karitativ. Als kirchliche Bruderschaften unterstellten sie sich dem Schütze eines Heiligen, zuweilen des Patrons ihrer Pfarrkirche, besonders gern aber, wie auch in Geseke, des hl. Sebastians, der als Hauptmann der römischen Prätorianergarde durch mauretanische Bogenschützen, von zahllosen Pfeilen durchbohrt, den Märtyrertod gefunden haben soll und daher zum beliebtesten Schutzpatron der Schützen geworden ist. In der städtischen Pfarrkirche besaßen sie, wie alle bedeutenderen Gilden und die rein kirchlichen Bruderschaften, gewöhnlich einen eigenen Altar. Auch die überall bestehende Pflicht, am Leichenbegängnis eines Schützenbruders oder seiner Angehörigen teilzunehmen, wie sie für Geseke bereits in der ersten Schützenordnung von 1684 ausgesprochen ist, kennzeichnet die kirchliche Verbundenheit und brüderliche Gemeinschaft der älteren Schützengesellschaften, die sich in den katholischen Gegenden bis heute erhalten hat.

 

Die alte Schützengesellschaft zu Geseke

 

Nach diesen Grundzügen müssen wir uns die Entstehung der Schützengesellschaft auch in der Stadt Geseke denken, die ja im Anfang des 13. Jahrhunderts vom Erzbischof von Köln zur Stadt erhoben worden ist mit der Aufgabe, als Grenzfestung gegen das Bistum Paderborn zu dienen, und in der daher dem militärischen Element besondere Bedeutung zukam. Zur Instandhaltung der Verteidigungsanlagen und für Verteidigungszwecke war die Stadt in vier Bezirke, Hofen genannt, eingeteilt, nach denen auch die Bürgerwehr gegliedert war, die Nord-, Ost-, West- und Mittelhofe. Dass die Schützengesellschaft zu Geseke bei ihrer ersten Erwähnung 1412 als „Bruderschaft S. Fabiani und Sebastian!“ erscheint, darf uns nicht, wie das bei Kampschulte (Beiträge zur Geschichte der Stadt Geseke. Werl 1868, S. 86) der Fall ist, dazu verleiten, in ihr primär eine kirchliche Bruderschaft zu sehen. Nur der Zufall der Überlieferung zeigt sie uns hier in einer Funktion, die neben den militärischen und polizeilichen Aufgaben anfangs nur eine Nebenrolle gespielt hat. Die weitere Überlieferung ist so dürftig, dass erst wieder aus dem 16. Jahrhundert einige sporadische Nachrichten vorliegen. Seit dem 17. Jahrhundert sind wir dann dank dem 1596 einsetzenden Protokollbuch und den die Zeit des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts betreffenden Nachrichten im Geseker Stadtarchiv soweit unterrichtet, dass wir uns ein Bild von Organisation und Tätigkeit der Schützengesellschaft machen können. Zunächst blieb die ursprüngliche Aufgabe der militärischen Ausbildung und Verteidigung, namentlich in den kriegerischen Zeiten des niederländischen Befreiungskampfes und des Dreißigjährigen Krieges, die vordringlichste. Von den Heldentaten der Geseker Schützen während der Belagerung der Stadt durch den „tollen Christian“ i. J. 1622 legte die zerfetzte Schützenfahne beredtes Zeugnis ab, die damals der tapfere Fähnrich Alhard Brandt, der spätere Bürgermeister, getragen hatte und die noch lange in hohen Ehren gehalten wurde. Als die Fürsten im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges zur Aufstellung stehender Heere übergingen und der aufkommende landesherrliche Absolutismus die Städte seinem Herrschaftssystem unterzuordnen vermochte, fielen für diese die Wehraufgaben, die nunmehr durch landesherrliche Garnisonen übernommen wurden, völlig weg. Den Schützen verblieb nur die weniger ehrenvolle und undankbare Funktion einer innerstädtischen Polizei im Dienste des Rates, der sie dazu im Notfalle bei Strafe durch Trommelschlag herbeirufen konnte (Geseker Schützenordnung von 1684 Nr. 4). Der lästige Polizeidienst und vor allem auch das Nachlassen des bürgerlichen Gemeinsinnes hatten zur Folge, dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die meisten Schützen dem Zwange der Zugehörigkeit zur Schützengesellschaft unter mancherlei Vorwänden zu entziehen suchten. Dazu kam, dass die Pflege der Geselligkeit, die sich früher in religiös-karitativen Rahmen gehalten hatte, im Zuge der allgemeinen Verweltlichung des 18. Jahrhunderts zum Selbstzweck wurde. Die Folge waren unerfreuliche Ausschweifungen bei den Gelagen und Tanzfesten und innere Streitigkeiten um belanglose Dinge, die das Einschreiten der landesherrlichen und städtischen Obrigkeiten hervorriefen. Dieser Verfall des Schützenwesens, das jetzt seine eigentliche Aufgabe und seinen inneren Gehalt verloren hatte, lässt sich überall im 18. Jahrhundert beobachten. Auch Geseke ist von dieser Entwicklung nicht verschont geblieben: 1770 ist „die löbliche Schützengesellschaft“, wie es in dem Reglement von 1777 heißt, „fato secundo (!) zertrennet und eingestellt worden“. Wenn auch die Gesellschaft bereits am 12. Juni 1777 dank den Bemühungen des Bürgermeisters Wilhelm Reen wieder neu errichtet wurde (Genehmigungspatent der Regierung zu Arnsberg vom 12.7.1777) und ein neues Reglement erhielt, das sich bezeichnenderweise auf Strafankündigungen gegen Exzesse bei den Festlichkeiten beschränkt, so vegetierte sie doch, zeitweise von heftigen Streitigkeiten zerrissen, nur mühsam dahin, bis erst das 19. Jahrhundert ihr einen neuen Sinn und mit der Reform von 1829/30 eine neue Organisation gab, die dann bis heute Bestand gehabt hat.

Die militärische Organisation war recht einfach. An der Spitze der Schützenkompagnie – wie die Schützengesellschaft in ihrer Eigenschaft als militärische Formation genannt wurde – stand als Befehlshaber der „Führer“, der von den Schützen unter entscheidender Mitwirkung des städtischen Rates gewählt wurde; nach der Abdankung des Henrich Stollmann Ende des 17. Jahrhunderts präsentierten die Schützen dem Rate vier Kandidaten, aus denen dieser den Matthias Timmermann zum Nachfolger Stollmanns wählte. Unter dem Führer standen mehrere – in der Regel zwei – Corporale, die je eine Abteilung oder Corporalschaft anführten. Die älteste uns erhaltene Schützenliste von 1684 zählt 50 „Gemeine“ auf, von denen 17 Mann unter dem Kommando des Führers standen, während der erste der beiden Corporale 16 und der zweite 14 Mann kommandierten. Zum Offizierskorps gehörte schließlich noch der Fähnrich oder, wie er gelegentlich genannt wird, Burgfendrich, der das „Fähnlein“, das Wahrzeichen der Kompagnie, bei Aufmärschen wie im Kampfe zu tragen hatte. Jeder Schütze hatte bei seinem Eintritt in die Kompagnie zu schwören, „das Fähnlein mit Leib und Blut vor des Feindes Gewalt zu verteidigen“, und ein „Fähnleingeld“ zu entrichten, aus dem die Kosten für Reparatur oder Neuanschaffung der Schützenfahne gedeckt wurden. Sofern diese Einkünfte nicht ausreichten, mussten Umlagen bei allen Schützenbrüdern gemacht werden; so musste z. B. 1696 für das neue Fähnlein jeder Schütze 3 Groschen geben. Die neue Fahne, die 1622 an die Stelle der zerfetzten trat, hatte die Farben rot-weiß-blau, die Fahnen des 18. Jahrhunderts dagegen trugen die Farben des Stadtwappens und der Stadtfahne blau-weiß, während bekanntlich die heutige Fahne schwarz-weiß-grün ist. Um 1700 trat als weiterer Offizier der „Lieutenant“ hinzu, der, nach seiner Rangbezeichnung zu urteilen, anfangs wohl die Stellvertretung des Führers innehatte und auch neben ihm erscheint, später aber wohl zum eigentlichen Befehlshaber der Kampagnie geworden ist, während der Führer augenscheinlich nach 1724 das Kommando der Jungschützen oder „Cadetten“ übernommen hat. Die Zahl der Schützenbrüder schwankte, dürfte aber im 17. und 18. Jahrhundert niemals die Hundertzahl überschritten haben: 1603 waren es 91, 1623 nur 64, 1670 war die Zahl wieder auf 75 gestiegen, 1684 werden uns 50 und in der letzten einer längeren Reihe von Schützenlisten 1725 nur 57 genannt. Spätestens seit 1724 bildeten die „Junggesellen“ oder „Cadetten“, d. h. die neu aufgenommenen jüngeren Bürger, die zunächst gleichsam als Rekruten eine militärische Ausbildung durchmachen mussten, ehe sie „Schützen“ werden konnten, eine eigene Abteilung, damals an Zahl 15 gegenüber 58 Schützen. Sie erhielten 1797 sogar ihre eigene Fahne. Für die wöchentlichen Schießübungen hatte der städtische Rat den Schützen das Gelände rechts vor der Ostpforte, den danach so genannten Schützenhagen oder Osthagen, im 19. Jahrhundert nach einem späteren Besitzer Bussenhagen benannt, zur Verfügung gestellt, wo ein Schützenhäuschen für die Schützenscheiben errichtet worden war. Seit 1719 erscheint ein zweiter Schützenhagen, der vor der Steinpforte, in der Nutzung der Gesellschaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zuweisung eines zweiten Übungsplatzes mit der etwa gleichzeitigen Verselbständigung der Junggesellen zusammenhängt, die hier vielleicht ihren eigenen Übungsplatz erhalten haben.

 

Bedeutsamer und ausgebildeter war die wirtschaftliche Organisation. Von den „Offizieren“, die auf längere Zeit gewählt bzw. vom „Führer“ ernannt wurden und nur für die militärischen Belange zuständig waren, hoben sich die „Beamten“ ab, die jährlich aus der Zahl der Schützenbrüder durch die Offiziere und die bisherigen Beamten aus der anlässlich des Schützenfestes auf dem Schützenanger stattfindenden Versammlung gewählt und vom Rate bestätigt wurden und denen die wirtschaftlichen Belange der Gesellschaft anvertraut waren. Die gesamte Wirtschaftliche Leitung, insbesondere die Kassenführung, war Aufgabe des Großschäffers, dem ein Untergroßschäffer oder Unterschäffer zur Seite stand. Die beiden Gartenschäffer hatten die Aufsicht über die von den Schützen genutzten Grundstücke und die beiden „Meyscheffer“ sollten dem Großschäffer bei der Vorbereitung des Schützenfestes zur Hand gehen. Der „Worthalter“ wirkte bei der Einsammlung der Braugerste und der Bereitung des Bieres für das Schützenfest mit. Der für untergeordnete Dienste, vor allem für Botengänge, angestellte Schützenknecht gehörte nicht zu den „Beamten“, er wurde für längere Zeit bestellt, erhielt im Unterschiede zu den unentgeltlich arbeitenden „Beamten“ eine Besoldung und gehörte nicht der Schützengesellschaft an.

 

Beim Eintritt in die Schützengesellschaft musste jeder Bürger außer dem „Fähnleingeld“ einen Scheffel Braugerste zahlen. Regelmäßige Einkünfte der Gesellschaft waren als Beitragsgeld aller Mitglieder das „Hopfengeld“ sowie die „Beamtengelder“, d. h. die Abgaben, die die neuen „Beamten“ nach ihrer Wahl zu entrichten hatten. Sie betrugen z.B. Ende des 17. Jahrhunderts für den Großschäffer und für den Unterschäffer je 18, für die beiden Gartenschäffer, die beiden Meyschäffer und den Worthalter je 9 Groschen. Außerdem hatte der Großschäffer bei Antritt seines Amtes der Gesellschaft eine Summe für etwaige nicht im voraus gedeckte Ausgaben vorzuschießen, die er dann im Rahmen der Schlussabrechnung rückvergütet erhielt. Weitere Einnahmen brachten die Verpachtung des Schützenhagens und der Verkauf des dortigen Obstes, die Brüchtengelder, die die Mitglieder für alle „Vergehen“, wie Säumigkeit bei Teilnahme an Versammlungen und am Übungsschießen oder Exzesse während der Festlichkeiten, zu entrichten hatten, und die Strafgelder von den vorbeischießenden Schützen. Auch die Stadt beteiligte sich durch Geldzuschüsse in wechselnder Höhe. Schließlich pflegten die zum Schützenfest geladenen Gäste Geldbeträge zu schenken und der neue Schützenkönig hatte seinen Königstaler zu entrichten. Regelmäßige Ausgaben entstanden der Gesellschaft durch die Besoldung des Schützenknechts und der für das Schützenfest und sonstige Aufzüge benötigten Trommler, Spielleute und Schalmeibläser, für Lichte bei den Zusammenkünften, für Beschaffung und Unterhaltung der zum Brauen und Ausschenken benötigten Utensilien und für die Unterhaltung des Schützenhagens, vor allem aber für die häufigen „Verzehrungen“ und Umtrünke bei jeder Zusammenkunft und Amtshandlung, die gleichsam als Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit angesehen und gefordert wurden: so endete jedes Mal die Sammlung der Gerste für das Bierbrauen, das Ausmahlen der Gerste zu Malz, das Brauen des Bieres, die jährliche Rechnungslegung und jede Beamtenwahl mit dem Verzehr von Speise und Bier, ja auch nach der Aufstockung des teuren Fähnleins verzehren die Offiziere 1696 für 6 Groschen und etwas später bei der Prüfung der Rechnung über das Fähnlein sogar für 1 Reichstaler und 4 Groschen zu Lasten der Schützenkasse. Für außergewöhnliche Ausgaben, z. B. 1607 zum Bau einer Mauer um den Schützenhagen wurde eine besondere Umlage, eine „Contribution“ von den Schützenbrüdern erhoben.

 

Nennenswertes eigenes Vermögen besaßen die älteren Schützengesellschaften in der Regel nicht, auch die Geseker dürfte außer den Kleinodien, den Schießscheiben und den Brauutensilien einschließlich der Biergläser kein eigenes Vermögen besessen haben; die Waffen waren Eigentum der Schützen selbst. Rücklagen wurden nicht gemacht, alle Ausgaben durch Umlagen bestritten. Etwaige Überschüsse aus der Jahresrechnung wurden sofort nach dem Schützenfest „sämtlich vertrunken“, wie es meist am Ende der vom Großschäffer vorgelegten und genehmigten Jahresabrechnung heißt, und nur ausnahmsweise für unmittelbar bevorstehende Ausgaben, wie der von 1696 für die Bezahlung des Fähnleins, verwandt. Die beiden Schützenhagen scheinen Eigentum der Stadt geblieben und den Schützen nur zur Nutzung zugewiesen worden zu sein. Der vor dem Steintor gehörte jedenfalls im frühen 19. Jahrhundert, als er noch dem Schützenschießen diente, einem Privatmanne, der ihn von der Stadt, nicht von der Schützengesellschaft gekauft hatte. Ob der Garten vor dem Mühlentor, der allerdings erst im ausgehenden 18. Jahrhundert genannt wird und augenscheinlich nicht für Schießübungen bestimmt war, wirklich Eigentum der Schützengesellschaft von 1777 war, ist nicht sicher, jedenfalls ist nicht recht ersichtlich, aus welchem Vermögen die Erwerbung hätte erfolgen können, da man ja – im wörtlichen Sinne – „von der Hand in den Mund“ lebte. Nach dem Protokollbuche ist der Garten 1808 „verkauft“ worden, doch verfügte die Gesellschaft noch 1828 über die Nutzungen. Dem Ansporn der Schützen dienten die Preisschießen, die immer mehr in den Mittelpunkt der militärischen Übungen traten. Schon bei dem wöchentlichen Übungsschießen auf die Scheibe wurden kleinere Preise, wie zinnerne Becken und Schüsseln, verteilt, für deren Beschaffung die Großschäffer bei ihrem Dienstantritt 2 Taler als Vorschuss erhielten, die sie jedoch bei ihrer Schlussabrechnung wieder abzuliefern hatten; die Kampf preise wurden augenscheinlich nachträglich aus den Beiträgen der beim Preisschießen beteiligten Schützen bezahlt.

 

Den Höhepunkt des Preisschießens aber bedeutete das jährliche Schützenfest oder Schützenschießen, das in Geseke gewöhnlich Ende Juni auf dem Schützenhagen begangen und mit dem Zuge vom Marktplatz zum Schießstand eröffnet wurde. An das Schießen schloss sich der Umzug hinter der Fahne mit Trommel- und Bläsermusik zum Marktplatz zurück und ein Gelage mit Tanz im Weinkeller des Rathauses. Ob schon in älterer Zeit das Tanzfest mit dem für Geseke charakteristischen „Langen Tanz“, einer Art Polonaise mit Fahnenschwenken, beendet worden ist, lässt sich aus den Quellen nicht ermitteln. Auch beim Schützenfest wurde wie beim Übungsschießen auf Scheiben geschossen. Das Schießen nach dem Vogel auf der Stange, bei dem die Entscheidung mehr vom Zufall als von der Treffsicherheit der Schützen abhängt und das daher für das Übungsschießen ungeeignet war, finden wir auch in älterer Zeit vielfach auf Schützenfesten, in Geseke jedoch scheint vor 1830, als man das Vogelschießen offiziell einführte, nur das Scheibenschießen üblich gewesen zu sein. Der beste Schütze erhielt als Preis die Königswürde, die ihm bis zum nächsten Schützenfest blieb, einen von der Stadt jährlich gestifteten, mit Silber bordierten Hut und das Königskleinod, das in Geseke die Form eines Brustschildes und dem Bilde des heiligen Georg und der Jahreszahl 1501 hat. An dem Schilde waren eine Reihe kleiner Schilder angebracht, die einem alten Brauche nach von den Schützenkönigen gestiftet worden waren und jeweils Namen, Jahreszahl des Schützensieges und gegebenenfalls Zeichen des Stifters trugen. Eine Liste dieser Schilder mit den Namen der Schützenkönige aus den Jahren 1685 bis 1714 ist uns erhalten geblieben. Da die zahlreichen, im Laufe der Jahre erworbenen Königsschilder nicht mehr am großen Schilde Platz fanden, ging man in den schlechten Zeiten des 18. Jahrhunderts dazu über, die „überflüssigen“ Schilder zur Abtragung der Schulden der Gesellschaft zu verkaufen. Schon 1777 verpfändete Bürgermeister Hesse als Schützenkapitän eine Reihe von Schildern, die aber 1778 wieder eingelöst werden konnten. Doch fanden in den Jahren 1782,1792 und 1794 weitere Verkäufe statt, durch die, dem Schützenverein viele für die Geschichte der Schützenfeste wertvolle und oft kunstgewerblich beachtliche unter den Schildern verloren gegangen sein mögen. Der zweitbeste Schütze erhielt ein Paar lederne Handschuhe, die regelmäßig vom Rat gestiftet wurden. Zum Fest auf dem Rathaus waren nur die Schützen mit ihren Frauen und Kindern sowie eine Reihe geladener Gäste zugelassen. Die übrigen Bürger hatten keinen Zutritt, ein Volksfest ist das Schützenfest erst im 19. Jahrhundert geworden. Das Fest dauerte zwei bis drei Tage und endete gewöhnlich mit einer Nachfeier, an der jedoch nur die Schützen ohne Familie und die geladenen Herren teilnahmen und die solange dauerte wie das Bier, das von den Schützen selbst gebraut war, reichte. Das Brauen des Bieres mit seinen Vorbereitungen war eine besonders feierliche Angelegenheit, die den größten Teil der Vorarbeiten für das Schützenfest in Anspruch nahm. Schon zu Beginn des Jahres zogen Offiziere, Beamte und Schützen, insgesamt 13 bis 14 Personen, mit ihren Wagen von einem Schützenbruder zum ändern, um das bei diesen auf Grund der beschlossenen Umlage anfallende Quantum an Gerste einzuziehen. Die erste Umfahrt endete mit einem Gelage in der Wohnung des Großschäffers, der dafür oft eine erhebliche Rechnung zu begleichen hatte. Auch der städtische Rat pflegte einen größeren Posten an Gerste zum Feste zu stiften. Zur Einziehung der Gerste waren gewöhnlich nur zwei „Umgänge“ notwendig, die aber nur vom Worthalter und vom Schützenknecht ausgeführt und durch einen Umtrunk belohnt wurden. Auch das Vermahlen der Gerste zu Malz und das Brauen des Bieres im Braukessel, wozu der erforderliche Hopfen aus dem schon er- wähnten Hopfengeld der Schützen gekauft wurde, waren feierliche Amtshandlungen, die, wie wir schon hörten, mit „Verzehr“ und Umtrunk abgeschlossen wurden. Auf dem Fest wurde das Bier an die Schützen, ihre Angehörigen und die geladenen Gäste unentgeltlich verzapft. Wenn es nicht ausreichte, was zuweilen bei besonders belebten Feiern vorkam, musste zugekauft werden; den Kaufpreis legte man dann auf die Unentwegten, die auf der Nachfeier davon getrunken hatten, Schützenbrüder wie geladene Herren, um. Aber nicht nur innerhalb der Schützengesellschaft, sondern auch zwischen benachbarten Schützengesellschaften fanden Preisschießen statt. So lud 1589 der Rat zu Geseke die „Büchsenschützen und Schießgesellen“ aus dem Gogericht Erwitte zu einem Preisschießen und Preiswürfeln ein. 1692 fand in Lippstadt ein Preisschießen statt, zu dem der dortige Platzmeister die Geseker Schützen eingeladen hatte. Als Preise, für deren Beschaffung jeder Schütze einen Einsatz zu zahlen hatte, waren ausgesetzt: ein Ochse für den besten Schützen, ein silberner Becher für den Kranzschuss, der damals an die Geseker fiel, ein Dukat für den Ritterschuss und silberne Löffel für den besten Schützen auf den zwei Umgängen, von denen jeder Umgang vier Schüsse ausmachte. Als Schiedsrichter fungierte ein Siebenerausschuss. Als weitere Amtspersonen werden der Platzmeister, der Britschmeister und der Tambour genannt. 1694 revanchierten sich Bürgermeister und Rat zu Geseke, indem sie zu einem Preisschießen nach Geseke einluden.

 

Die Schützengesellschaft von 1830

Dem allgemeinen Verfall des Schützenwesens, dem gegen Ende des 18. Jahrhunderts zahlreiche Schützengesellschaften zum Opfer gefallen sind, ist auch die Geseker Gesellschaft nicht entgangen: sie ist 1770 an inneren Zwistigkeiten zugrunde gegangen. Aber auch die Neugründung von 1777 vermochte dem Schützenwesen keinen neuen Auftrieb zu geben; mit dem Verlust seiner alten Aufgaben war der Schützenbetrieb überflüssig und sinnlos geworden, ein neuer Inhalt war noch nicht gefunden. So vegetierte die Gesellschaft von 1777 weiter dahin und überstand sogar die Zeit der französischen Herrschaft, die in den meisten Bezirken Westfalens, mit dem Misstrauen der Besatzungsmacht gegen jeden militärischen Schein, die Schützenvereine verboten hatte. Der Ver- such des Geseker Bürgermeisters Caspar Schulte im Jahre 1806, dem Verfall durch bloße finanzielle Erleichterungen für die Mitglieder Einhalt zu tun, blieb ohne Erfolg. Er hatte verordnet, dass künftighin die bisher übliche Verpflichtung des Schützenkönigs zum Traktament, d. h. zur Bewirtung der Schützenbrüder, und ebenso die Traktramente während der Vorbereitungen zum Schützenfeste wegfallen sollten, und eine Vereinfachung der Kleidung der Schützen angeordnet, die unter Abschaffung der mit Silber bordierten Hüte sich nur noch mit weißen Strümpfen und einem Dreieckshut uniformieren sollten; der Schützenkönig sollte den ihm als Siegespreis verliehenen Hut behalten dürfen. In französischer Zeit ging man dann zu einer Modernisierung des Offizierskorps durch Einführung zeitgemäßer Chargen über: der Kommandeur, in der Regel der regierende Bürgermeister, erhielt die Bezeichnung Oberst, ihm standen ein Adjutant und ein Obristlieutenant zur Seite, weitere Offiziere waren die Capitäne, der Fähnrich, ein Oberlieutenant, ein Secondelieutenant, ein Führer und zwei Corporale. Bis 1813 fanden regelmäßig die jährlichen Wahlen der Offiziere und der seit 1812 „Verpflegungskommission“ benannten „Beamten“ statt, dann scheint die Tätigkeit der Gesellschaft bis 1818, als man die Wiederaufnahme des Scheibenschießens beschloss, geruht zu haben.

 

An der Wiederbelebung des Schützenwesens nach den Freiheitskriegen hatte der Oberpräsident von Vincke, der in den Schützenvereinen eine Pflegestätte heimatlicher Tradition und vaterländischer Gesinnung sah und darin eine neue Sinngebung und einen neuen Aufgabenkreis fand, einen gewichtigen Anteil. In seiner Verordnung vom 27. August 1816, in der er Sicherheitsbestimmungen für die ordnungsgemäße Abwicklung des Scheiben- und Vogelschießens erließ, fasste er zum Schluss seine Wünsche zusammen: „Es ist zu wünschen, dass die alte löbliche und unter Beobachtung dieser Vorschriften unschädliche Übung des Scheiben- und Vogelschießens überall, wo solche stattgefunden hat, wieder auflebe und, wo solche noch nicht war, neu eingeführt, auch solche Tage gewählt werden, welche die Erinnerung eines denkwürdigen, dem Orte, dem Lande oder dem Staate teuren Ereignisses heiligt.“

 

Aber die Geseker Gesellschaft musste noch durch eine Zeit unerquicklicher Streitigkeiten hindurch, ehe sie sich in ihren Statuten von 1830 zu den neuen Zielen bekannte und den Hauptzweck ihres Schützenfestes in der „Erweckung, Belebung und Aufrechterhaltung des Ehrgefühls und der Erhaltung, Bestätigung bzw. Wiederherstellung der gemeinschaftlichen Liebe, Einigkeit und guten Ordnung unter den Geseker Bürgern und Einwohnern zur Begründung des Gemeinwohls“ sah. 1824 spaltete sich die Gesellschaft, als die Mehrheit unter dem bisherigen Stadtschultheißen Dunker beschloss, das veraltete Verfahren des Gerstesammelns und Selbstbrauens abzuschaffen und durch Verdingung des Bierausschanks zu ersetzen. 16 Schützen unter dem Hauptmann Ignaz Schupmann rebellierten dagegen, sammelten von sich aus Gerste ein und vertranken das selbstgebraute Bier beim Gastwirt Bredenoll, ohne ein Preisschießen zu veranstalten. Die Partei Dunkers erhielt von der Regierung die Genehmigung zum Feiern des Schützenfestes mit Preisschießen, und es bestand die Gefahr, dass jede Partei ihr eigenes Fest feiern würde. Doch schloss sich schließlich die Gruppe um Schupmann, wohl in der Erkenntnis, dass sie kein eigenes Fest würde organisieren können, dem Feste der Partei Dunkers an.

Eine neue Krise brachte das Jahr 1828, als wegen Baufälligkeit des Rathauses auf dem Markt der Schützenfesttanz aus dem so genannten Schützensaal über der Wohnung des Stadtdieners auf den Schützenhagen vor dem Steintor verlegt werden sollte. Der Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Isaac Goldschmidt, und der Geseker Rabbiner Cohen protestierten gegen diese Entweihung des unmittelbar am Schützenhagen gelegenen, schon ein Jahr- hundert alten jüdischen Friedhofs. Obwohl die Schützen darauf hinweisen konnten, dass dort schon früher Schießübungen, sogar seitens der Landwehr, abgehalten worden wären und dass nur der Schützenzug an den Gräbern vorbeiginge, während das eigentliche Tanzfest in einiger Entfernung von den Gräbern vorgesehen sei, verbot der Landrat Schießen wie Tanzen auf dem Schützenhagen. Trotzdem hielten die Schützen, da ihnen kein anderer geeigneter Platz zur Verfügung stand und alle Vorbereitungen bereits getroffen waren, ihr Scheibenschießen am 22. Juni auf dem Schützenhagen ab, der Tanz dagegen wurde in einen anderen Saal des Rathauses verlegt. Der Streit um den Judenfriedhof hatte Kundgebungen des Judenhasses während des Festes zur Folge: der antisemitische Schmähruf „Hep,hep“ wurde laut und der von den Juden als Provokation empfundene Judenwalzer wurde mehrmals von der Musik intoniert, was wiederum den Protest des Rabbiners beim Landrat hervorrief. 1829 kam es zu einer erneuten Spaltung zwischen den verheirateten Schützen unter Schupmann, die das Fest in der alten Weise feiern wollten, und den Unverheirateten oder „Junggesellen“, die den Bierausschank einem Gastwirt verdingen wollten. So war man auf dem besten Wege zum völligen Auseinanderleben beider Gruppen, wie es z. B. im Nachbardorfe Langeneicke der Fall war, wo die verheirateten und die unverheirateten Schützen in mehrjährigem Turnus getrennte Schützenfeste abhielten.

 

Die dauernden Misshelligkeiten und Streitigkeiten machten eine grundlegende Reform unumgänglich. Zur treibenden Kraft wurde neben dem neuen Bürgermeister Schröder, der seit 1828 auf Reformen und Aufstellung von verbindlichen und durch die Regierung genehmigten Statuten drängte, der Stiftsrentmeister Kinkel, der seit 1828 federführend in den Verhandlungen der Stadt mit Landrat und Regierung in Schützenangelegenheiten war. Die Entscheidung fiel im Juni 1829 mit der Wahl des neuen Offizierskorps, in das Kinkel als Capitän, der Gastwirt Wilhelm Gramer als Premierlieutenant, Kayser als Secondelieutenant, Budde als Rechnungsführer und Adjutant und Hillenkamp und Elperding als Fähnriche eintraten. Auf Veranlassung von Kinkel beschloss die Mitgliederversammlung vom 5. Juli 1829 die Aufstellung von Statuten und wählte für diesen Zweck einen Schützenausschuss von 13 Mitgliedern. Zu Hilfe kamen den Reformern die Verhandlungen des 2. Westfälischen Provinziallandtages, der sich auf Antrag des Abgeordneten Frh. v. Wrede-Melschede vom 3. Dezember 1828 mit den Ausartungen der Schützenfeste, wie sie an vielen Orten aufgetreten waren, und mit der Frage der Beschränkung dieser Feste beschäftigt hatte. Entgegen bei den Behörden verbreiteten Bestrebungen, die Schützenfeste durch neue gesetzliche Bestimmungen aufs äußerste einzuschränken, wollte der Provinziallandtag diese im bisherigen Umfange erhalten sehen, forderte aber die Einführung Ordnungssichernder polizeilicher Bestimmungen. Dementsprechend ordnete die Regierung in Arnsberg am 1. November 1829 an: die Schützenfeste dürfen nur von geschlossenen, mit genehmigten Statuten versehenen Gesellschaften, von denen in jeder Stadt und in jedem Landkirchspiel nur eine einzige bestehen darf, durchgeführt werden, die Dauer der Feste ist auf zwei Tage zu beschränken, das Fest ist jedes Mal mit einbrechendem Abend zu unterbrechen und die Teilnahme von Schülern und Lehrlingen ist zu unterbinden. In einer Stellungnahme zu dieser Verordnung sprachen sich Schröder und Kinkel dahin aus, dass alle Einwohner zum Feste zugelassen werden sollten, als Schützen oder als bloße Festgenossen, auch die Lehrlinge, bei denen es sich schon um reife Menschen handele, nicht aber die Schüler, und dass das Fest auch bis in den Abend hinein ausgedehnt werden dürfe.

 

Die entscheidenden Beschlüsse wurden in der gemeinsamen Sitzung des Offizierskorps und des Statutenausschusses vom 20.10.1829 gefasst: In die „neu errichtete“ Schützengesellschaft können als freiwillige Mitglieder alle Personen, gegen deren moralischen Charakter keine Einwendungen erhoben werden und die sich im zulassungsfähigen Alter befinden, aufgenommen werden. Die Zulassung von Juden sollte durch einen weiteren Beschluss geklärt werden, der dann 1831 in dem Sinne gefallen ist, dass Juden, weil sie keine Bürger seien, nur als Festgenossen, nicht aber als Schützen zugelassen werden dürften. Der Sohn eines verstorbenen Mitgliedes kann in die Rechte des Vaters eintreten, ohne Antrittsgeld zahlen zu müssen. Das Schützenfest soll künftig außerhalb von Geseke im Freien gefeiert werden, wozu ein Zelt mit Tanzboden beschafft und ein geeigneter Platz erworben werden sollen. Vogelschießen und Scheibenschießen sollen zugleich gepflegt werden. Beim Schützenfest wird derjenige König, der den Vogel herunterschießt. Schützenstatuten sollen beschlossen und der Regierung in Arnsberg zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Lieferung von Wein und Bier für das Schützenfest und die Aufstellung des Zeltes sollen für Rechnung der Schützenkasse verdungen werden. Auswärtige dürfen als Festgenossen oder als Schützenmitglieder am Schützenfest teilnehmen, aber weder Schützenkönig noch Schützenoffizier werden. Der seit 1828 bestehenden Notwendigkeit, ein neues Tanzlokal und einen neuen Schießplatz zu finden, trugen die Beschlüsse vom 13. und 18.04.1830 Rechnung: Das Schützenfest wollte man nun doch innerhalb der Stadt feiern, und zwar auf dem Sellenhof (in der Bachstraße, nördlich neben dem Hospital), der für diesen Zweck vom Pächter Th. Gockel angepachtet wurde, das Vogelschießen auf einem Platz außerhalb der Stadt, dem sogen. Tollentisch (zwischen Bürener und Brenkener Straße, am Alten Schützenweg), durchführen, während Scheibenschießen auf dem Schützenfest nur dann vorgesehen war, wenn sich zur Durchführung ein besonderer Unternehmer bereit finden sollte. Für die Beschaffung des Tanzzeltes mit Tanzboden und einen etwaigen späteren Ankauf des Sellenhofes oder eines anderen geeigneten Platzes für das Zelt sollten von den Mitgliedern unverzinsliche Aktien gezeichnet werden, die später aus einem neu anzulegenden Tilgungsfonds zurückgezahlt werden sollten. Weiter beschließt man, dass Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine beim Festschießen und beim Umzug in reinlichen Leinenhosen, Gamaschen und möglichst in Frackröcken zu erscheinen hätten; für den abendlichen Tanz wurde beliebige Kleidung zugelassen. Die Schützen sollten in zwei Kompanien gegliedert werden, wobei der Capitän oder Hauptmann der ersten Kompanie (Kinkel) Vorgesetzter des Hauptmanns der zweiten Kompanie – dazu wurde 1830 der Bürgermeister Schröder gewählt – werden sollte.

 

Aus den Beratungen und Beschlüssen des Offizierskorps und des Statutenausschusses gingen schließlich die neuen, wegen der fehlenden Bestätigung durch die Regierung in Arnsberg zunächst als provisorisch bezeichneten Statuten vom 25. April 1830 hervor, die schon für das Fest von 1830 in Geltung traten. Sie sind, ergänzt durch die wichtigen Beschlüsse von 1832/33 und modifiziert auf Grund einer Verordnung der Regierung in Arnsberg i. J. 1858 und wegen der Eintragung der Gesellschaft in das Vereinsregister auf Grund der Bestimmungen des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches i. J. 1900 bis 1934 in Geltung blieben. Damit war die neue Gesellschaft ins Leben getreten. Sie unterschied sich von der Gesellschaft des 17./18. Jahrhunderts in vier wesentlichen Punkten: 1. Die Mitgliedschaft war freiwillig und nicht mehr auf die nach Gesichtspunkten der Wehrfähigkeit ausgewählten Bürger beschränkt. 2. Das Schützenfest wurde zu einem allgemeinen Volksfest, während es früher ein Fest der Schützengesellschaft und ihrer geladenen Gäste gewesen war. 3. Die Gesellschaft, die früher ohne Vereinsrechte und ohne Vermögen ihre Unkosten nur von Fall zu Fall durch Umlagen auf die Mitglieder und durch Spenden bestritten hatte, wurde nun zu einem Verein mit eigenem Vermögen, das durch Aktienzeichnung der Mitglieder aufgebracht werden sollte. 4. An die Stelle der älteren militärischen und polizeilichen Aufgaben war die ausschließliche Pflege bürgerlicher Geselligkeit, jedoch mit dem idealen Ziele, Sittlichkeit, Ehrgefühl und Heimatliebe zu fördern, getreten. Für die Organisation der neuen Schützengesellschaft wählte man – wenn es gestattet ist, zur Verdeutlichung einen Begriff des staatlichen und kommunalen Verwaltungsrechts als Analogie heranzuziehen – das „Zwei-Kammer-System“, wie es als Magistratsverfassung (mit Magistrat und Stadtverordnetenversammlung) zeitweise auch in der städtischen Verwaltung zu Geseke bestanden hat. Das Offizierskorps wurde jährlich vom alten Offizierskorps und vom Schützenausschuss und der aus 12 bis 14 Personen bestehende Schützenausschuss, der den Statutenausschuss fortsetzte, zunächst jährlich, seit 1853 dreijährlich von der Mitgliederversammlung gewählt. Ihm gehörte ohne weiteres auch der Schützenkönig an. Für das Offizierskorps brachten die Beschlüsse vom 08. April 1832 und 21. April 1833 insofern eine Neuerung, als seitdem ein Major als Kommandeur den beiden Capitänen oder Hauptleuten übergeordnet war. Weitere Offiziere waren zwei Premierlieutenants, ein Adjutant, ein Bataillonsarzt – diese Charge bekleidete viele Jahre der Leitende Arzt der Geseker Heilanstalt Dr. Schupmann -, vier Secondelieutenants, ein Platzmajor, dem u. a. die Ausschmückung des Tanzzeltes und des Festplatzes oblag, und ein Rechnungsführer, dessen Aufgaben aber auch einem der übrigen Offiziere, in der Regel dem Adjutanten, übertragen werden konnten. Den Bataillonsstab bildeten der Major, der Adjutant, der Bataillonsarzt, der Platzmajor und der Rechnungsführer, den Schützenvorstand der Major mit den beiden ihn vertretenden Hauptleuten. Zum Hauptmann der zweiten Kompanie wählte man gern den Bürgermeister (Schröder, später Pieper und Cäsar Frettlöh). Die Unteroffiziere wurden durch das Offizierskorps gewählt. Mitglied konnte jeder selbständige Einwohner von Geseke und dessen Söhne, die das 17. Lebensjahr erreicht hatten, aber auch jeder geeignete Auswärtige werden. Ergänzend dazu beschieß man 1831, dass auch Geistliche und Lehrer, Juden dagegen, wie schon erwähnt, nur als Festgenossen der Schützenfeste aufgenommen werden dürfen. Mitglieder, die sich in der Gesellschaft oder im bürgerlichen Leben etwas hatten zuschulden kommen lassen, wurden aus der Gesellschaft ausgewiesen. Während der Schützenfeste behielt sich die Gesellschaft eine gewisse Gerichtsbarkeit über geringere Exzesse ihrer Mitglieder, die keine gesetzliche Bestrafung erforderten, vor. Dem Charakter des Schützenfestes als Volksfest entsprechend gestatteten die Statuten von 1830 auch die Aufstellung von Buden mit Getränken und Esswaren mit Genehmigung des Majors außerhalb des Schieß- und Tanzplatzes. Der Schützenkönig, der auf Grund der Beschlüsse vom April 1830 zwei silberne Esslöffel als Prämie erhalten sollte, wurde von Traktamenten und sonstigen Ausgaben befreit, dafür erwartete man von ihm, dass er der Gesellschaft eine silberne Denkmünze schenken werde. Zwei wichtige Neuerungen für das Schützenfest brachten schließlich noch die Beschlüsse von 1831/32: eine zweite Prämie, bestehend aus zwei silbernen Kaffeelöffeln, für den Schützen, der die Krone abschoss (Kronkönig) und die Wahl einer Königin des Festes durch den König, die vor ihrer Wohnung durch das präsentierende Bataillon empfangen und zur Königin ausgerufen und gekrönt wurde.

 

Als Festplatz hatte man 1830 den Sellenhof in der Stadt, zunächst wohl nur als Notlösung, gewählt. Da es aber nicht gelang, einen geeigneten Platz käuflich zu erwerben, wurde der auf mehrere Jahre abgeschlossene Pachtvertrag immer wieder verlängert, bis es endlich 1879 gelang, einen Platz vor dem Steintor anzukaufen, der dann 1910 durch Ankauf des westlich angrenzenden Grundstücks des Franz Schmidt erweitert werden konnte. Auf dem Tollentisch, den man 1830 zum ersten Male als Schießplatz genutzt hatte, blieb die Vogelstange bis 1881, um dann auf den neuen Festplatz verlegt zu werden. Daneben scheint man, wenigstens gelegentlich – einer Nachricht von 1867 zufolge – auch den alten Schützenhagen vor dem Osttor zu Schießübungen herangezogen zu haben. Auf dem neuen Festplatz wurde am 9. August 1887 der Grundstein für die neue Schützenhalle gelegt, deren Kosten durch eine Anleihe bei der Sparkasse gedeckt wurden. Sie konnte im November 1887 in Betrieb genommen und 1888 durch zwei Küchen erweitert werden. Doch wurde während der Schützenfeste weiterhin das Schützenzelt aufgebaut. Als einzige größere Halle der Stadt wurde sie häufig für Veranstaltungen anderer Verbände vermietet; in ihrer neuen Gestalt musste sie seit 1933 der NSDAP und ihren Gliederungen unentgeltlich freigegeben werden. Aus einem großzügigen Erweiterungs- und Umbau erstand 1928 eine neue dreischiffige Halle, die mit ihren Ausmaßen (43 m breit, davon jedes Seitenschiff 5,10 m breit) damals nach der Westfalenhalle in Dortmund als größte Halle des östlichen Teils des Regierungsbezirks Arnsberg galt.

 

Aus der weiteren Geschichte der Geseker Schützengesellschaft seien noch einige bemerkenswerte Ereignisse hervorgehoben: Das Jahr 1845 brachte neue Schwierigkeiten. Die Regierung zu Arnsberg, die den Schützenfesten sehr kritisch gegenüberstand, hatte 1841 eine Verordnung über polizeiliche Maßnahmen gegen die Ausschreitungen auf Schützenfesten erlassen, in der es hieß: „Die Schützenfeste haben an einzelnen Orten ihren Charakter als Volksfeste aufgegeben und sind in Saufgelage ausgeartet, die zu Ruhestörungen, Schlägereien und! gewaltsamen Körperverletzungen Veranlassung geworden sind, so dass die Wirksamkeit der Kriminaljustiz hat in Tätigkeit treten müssen.“ Als in Geseke während des Festes von 1844 in einigen Gärten jüdischer Mitbürger Zerstörungen vorgekommen waren, nahm die Regierung das zum Anlass, das Fest für 1845 zu verbieten.

 

Wegen erneuter Missstände und Ausschreitungen auf den Schützenfesten erließ die Regierung zu Arnsberg am 7. Juni 1858 eine Zirkularverfügung, die eine Reform bezweckte und alle Dauergenehmigungen für periodische Schützenfeste aufhob. Künftighin sollte jede Schützengesellschaft nur einmal im Jahr und nur zwei Tage lang feiern und vor Erteilung neuer Genehmigungen ihre Statuten einreichen. Daraufhin legte die Geseker Gesellschaft ihre für diesen Zweck durchgearbeiteten und teilweise modifizierten Statuten, wie sie am 17. März 1859 beschlossen worden waren, vor und erhielt am 3. Mai 1859 mrt der bald wieder aufgehobenen Einschränkung, dass das Fest nur zwei Tage dauern dürfe, die Genehmigung des Landrats. Eine der wesentlichen Neuerungen in den Statuten war die starke Betonung des christlichen Charakters des Schützenfestes und die Bestimmung, dass das aktive Wahlrecht für den Vorstand nur den christlichen Mitgliedern zustehen solle. Diese Bestimmung ist trotz der Beschwerden von jüdischer Seite (1879) und trotz Missbilligung durch die Regierung in Arnsberg, die sich aber zum Eingreifen rechtlich nicht in der Lage sah, bis 1934 aufrecht erhalten worden.

 

Das Jahr 1913 brachte mit der großen 500-Jahr-Feier dem Verein einen großen Auftrieb. Zahlreiche auswärtige Vereine waren zu Gast und ein großer historischer Festzug machte die Vergangenheit lebendig. Der verdienstvolle Schützenkommandeur Philipp Thoholte erhielt die Charge eines Obersten. Auf die Schützenfahne, die 1898 neu beschafft worden war, konnte der vom König verliehene goldene Königsadler aufgesteckt werden. Zur Organisation des Festes hatte man neben die für jedes Schützenfest eingesetzten Kommissionen (Kommission zur ständigen Kontrolle der Güte des Bieres, Kommission zur Prüfung der Weine, Vergnügungskommission, Wahlkommission, Rechnungsprüfungskommission) noch eine Reihe von Spezialkommissionen gebildet. Die unruhige Zeit von 1919 brachte den Schützen wieder die seit Jahrhunderten vergessenen militärischen und polizeilichen Aufgaben: Die zur Sicherung von Ruhe und Ordnung gebildete Bürgerwehr rekrutierte sich in erster Linie aus Mitgliedern des Schützenvereins, der Freiwilligen Feuerwehr und des Kriegervereins. Nach der Unterbrechung durch den Weltkrieg, in dem 167 von 369 Mitgliedern als Soldaten eingezogen waren und 30 iden Heldentod starben, konnte 1920 wieder ein Schützenfest gefeiert werden. Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft brachte für die Gesellschaft, die bisher keinem Verbände angehört hatte, die Zwangseingliederung in die von der herrschenden Partei aufgebaute zentralistische Organisation. Anfangs gelang es noch, durch Anpassung an die nationalsozialistischen Grundsätze, den Charakter eines Heimatvereins zu wahren. Der „Schützenbund für das kurkölnische Sauerland“, geleitet von einem Bundesobersten mit einem Führerrat, schloß sich dem Westfälischen Heimatbund, Gebiet kurkölnisches Sauerland, an. Er gliederte sich in Kreisschützenbünde unter Kreisschützenbundführern mit Führerräten, von denen der für den Kreis Lippstadt am 14. April 1934 gegründet und dem dortigen Landrat (Dr. Flottmann, dann Simon) unterstellt wurde. Am 2. April 1934 beschloss die Mitgliederversammlung der Geseker Schützengesellschaft den Beitritt zum Schützenbund für das kurkölnische Sauerland und zum Lippstädter Kreisschützenbund. Im Sinne der neuen Bestrebungen auf Wehrertüchtigung führte man den regelmäßigen Schießsport ein und trat gleichzeitig dem Deutschen Schießsportverbande bei. Die am gleichen Tage angenommene Satzung führte das Führerprinzip ein: Der vom Kreisschützenbundführer auf drei Jahre ernannte Schützenvereinsführer ernennt die Mitglieder seines Beirats und das Offizierskorps, während die Rechte der Mitgliederversammlung stark beschränkt werden. Zweck des Vereins sollte die Erziehung zur Volksgemeinschaft und zur Wehrhaftigkeit auf der Grundlage der nationalsozialistischen Volks- und Staatsauffassung und die Schulung im Schießsport sein; daneben blieben die alten Aufgaben berücksichtigt: Pflege der Eintracht und des Bürgersinnes, des Schützenbruderschaftsgedankens und der christlichen Nächstenliebe, die Veranstaltung von Schützenfesten und die Wahrung der alten Schützenbräuche.

 

Seit 1936 ließ sich die Eingliederung in die von der Partei geschaffenen Organisationen nicht mehr vermeiden. Das durch die Staatspolizeileitstelle in Dortmund am 19. März 1936 ausgesprochene Betätigungsverbot für die Schützenvereine wurde nur unter der Bedingung der baldigen Eingliederung in den Deutschen (später Nationalsozialistischen) Reichsbund für Leibesübungen rückgängig gemacht. Der Schützenbund für das kur-kölnische Sauerland, der noch 1935 in Arnsberg und 1936 in Brilon gut besuchte Bundespreisschießen veranstaltet hatte, musste auf seiner Generalversammlung in Arnsberg am 8. Dezember 1936 seine Auflösung und den Beitritt seiner Vereine zu dem neu gegründeten, dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen angegliederten „Deutschen Schützenverband“ zum 1. Januar 1937 beschließen. An Stelle ihrer Schützenfahne erhielten die Vereine jetzt die Fahne des Deutschen Schützen-Verbandes und mussten dessen Einheitssatzung annehmen, die in Geseke durch Beschluss der Generalversammlung vom 17. April 1937 eingeführt wurde. Sie erklärte zum alleinigen Zweck des Vereins „die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates durch planmäßige Pflege der Leibesübungen, insbesondere des Schießsportes“. Damit waren die Schützengesellschaften zu Wehrsportvereinen geworden, von dem alten Schützengeist war wenig erhalten geblieben.

 

Die St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft Geseke 1412

 

Nach dem zweiten Weltkriege wurden die Schützenvereine in ihrer bisherigen Form als Wehrsportvereine von der britischen Militärregierung verboten und ihr Vermögen gemäß Gesetz Nr. 52 gesperrt. Dagegen hatte die Militärregierung schon 1946 die Wiedererrichtung der „Erzbruderschaft vom hl. Sebastian, Bundes der historischen Schützenbruderschaften in Rheinland und Westfalen“ zugelassen, die in den 20er Jahren als Vereinigung auf katholisch-kirchlicher Grundlage entstanden, in nationalsozialistischer Zeit aber wegen ihrer kirchlichen Bindungen aufgelöst worden war. In dem Bestreben, den jahrhundertealten Geseker Schützenverein wieder ins Leben zu rufen, und angesichts der damaligen Unmöglichkeit, ihn in der Form des Geselligkeitsvereins des 19. Jahrhunderts wiederzuerrichten, entschlossen sich die Geseker Schützen, beim Generalvikariat in Paderborn die Umwandlung in eine religiöse Bruderschaft und beim Präses der Erzbruderschaft vom hl. Sebastian, Pfarrer Dr. Louis in Leverkusen, die Aufnahme in die Erzbruderschaft zu beantragen. Sie konnten darauf hinweisen, dass der Geseker Verein schon im 15. Jahrhundert als Bruderschaft nachweisbar sei und dass er stets als seine Hauptaufgabe die Erhaltung des christlichen Geistes und die Pflege heimischer Sitte und heimatlichen Brauchtums angesehen habe. Die Gründungsversammlung vom 6. April 1947 entschied sich, dem neu gegründeten Paderborner Diözesanverband der katholischen historischen Schützenbruderschaften beizutreten und die Satzung nach den Richtlinien dieses Verbandes ausarbeiten zu lassen. Die Satzung wurde dann am 18. Januar 1948 angenommen und hat später noch einige Veränderungen erfahren. Die neue Schützenbruderschaft ist eine mit der Stadtpfarrkirche zu Geseke verbundene kirchliche Vereinigung, deren Zwecke ausschließlich und unmittelbar katholisch-kirchlich, gemeinnützig und mildtätig sind und die die Traditionen der bisherigen Geseker Schützengesellschaft fortsetzen und deren Vermögen übernehmen soll. Mitglied kann jeder der katholischen Kirche angehörige Einwohner der Stadt Geseke werden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat. Der engere Vorstand besteht aus dem 1. Brudermeister, der zugleich Kommandeur der Schützen ist, dem 2. Brudermeister und dem Schriftführer, zum erweiterten Vorstand gehören Kassierer und Schützenmeister mit ihren Stellvertretern, Schützenarzt, Auditeur, die Vorsteher der drei nunmehr nach alten Vorbilde Hofen (Nord-, West- und Osthofe) genannten Kompanien – die dritte Kompanie war 1926 errichtet worden -, der Adjutant, der Königsadjutant, die Fähnriche der drei Höfen und je 10 Beisitzer aus jeder Hofe sowie als geistlicher Präses der Pfarrer der Stadtkirche. Die Generalversammlung findet jährlich am Sebastianstage (20. Januar) statt, der mit kirchlicher Feier und anschließend in geselligem Beisammensein begangen wird.

 

Neben der Teilnahme am kirchlichen Leben und an den kirchlichen Prozessionen wird auch die Schützentradition nicht vernachlässigt: Seit 1951 wird beim Schützenschießen der Vogel, der bis dahin nur abgeworfen werden durfte, wieder mit Feuerwaffen abgeschossen. Seit 1950 ist das gesperrte Vermögen (Schützenplatz, Schützenhalle und Barvermögen) wieder freigegeben. Und seit 1955 wird das Schützenschießen wieder auf dem Schützenplatz durchgeführt und das Schützenfest in der Schützenhalle gefeiert, nachdem diese, seit 1944 von dem Kabel- und Drahtwerk Vohwinkel gemietet, Ende 1954 geräumt worden ist. In den vorangegangenen Jahren hatte man das Fest in Zelten auf dem städtischen Sportplatz am Rabenfittich im Norden der Stadt begehen müssen.

 

Wenn sich auch 1950 in Geseke ein zweiter, nicht kirchlich gebundener Schützenbund, der „Bürgerschützenverein“, mit eigenem Schützenbetrieb und eigenem Schützenfest gebildet hat, so lebt doch die jahrhundertealte Geseker Schützengesellschaft in der heutigen Schützenbruderschaft weiter; und trotz aller Wandlungen, die jene erlebt hat, von der städtischen Verteidigungs- und Notgemeinschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit über die Vereinigung zur Pflege bürgerlicher Geselligkeit des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen kirchlichen Bruderschaft, ist das jährliche Schützenfest mit seinem Preisschießen und den anschließenden Festlichkeiten der eigentliche Höhepunkt des Schützenlebens geblieben, in dem, wenig verändert, die ältesten Schützentraditionen besonders sichtbar weiterleben.

 

entnommen der Festzeitschrift 1962 zur 550-Jahr-Feier