Majestäten 1913

Königspaar: Frau Sanitätsrat Schulte & Walter Geschwinder

Kronkönig: Rechtsanwalt Becker

Die 500jährige Jubelfeier der Geseker Schützengesellschaft

Geseke, 8. Juli. Gehört ein Fest, wie es unsere Schützengesellschaft an den verflossenen 4 Tagen gefeiert hat, zu den größten Seltenheiten, so dürfte dasselbe, was die ganze Art und Weise dieser Jubelfeier betrifft, die Freundschaft und die brüderliche Eintracht, welche den Geseker Verein mit den Nachbarvereinen verbindet, in so herzerfreuender Weise zu Tage trat, einzig in seiner Art dastehen. Über den geradezu imposanten Verlauf der Jubelfeier herrscht nur eine Stimme des Lobes. Wohin das Auge blickt, überall Fahnen und Triumpfbogen! In ganz besonders festlichem Aufputz erschien der Kaltenhof und gebührt den wackeren „Uekern“ hierfür besonderer Dank. Der Samstag bringt den neuen König. Es fällt Schuss auf Schuss. Da … Hurra! Herr Kaufmann Walter Geschwinder war der glückliche Schütze, nachdem sich vorher wie im vorigen Jahre Herr Rechtsanwalt Becker die Krone gesichert hatte. Und nun die Königin? Die Wahl war schwer, doch hätte eine reizendere Königin gefunden werden können als Frau Dr. Schulte? Die Wahl war die beste die getroffen werden konnte. Der Nachmittag bringt ein schönes Fest in der Schützenhalle, das die Schützenbrüder noch lange in Gemütlichkeit zusammenhält.

Und endlich, endlich der große Tag! Bangen Herzens schaut mancher Schützenbruder dem kommenden Morgen entgegen. Wird der Wettergott gnädig sein? Lustige Weisen erklangen zum Morgenkonzert auf dem Markt und am Teichplatz. Jubel und Trubel wuchsen mit jeder Stunde, mit jedem der immer zahlreicher eintreffenden auswärtigen Schützenvereine. Gegen 1/2 3 Uhr formierte sich am Mühlentore der Riesenfestzug. Dank der großartigen Organisation – jeder Kommandeur eines Vereins erhielt einen gedruckten Situationsplan – konnte der einzig in seiner Art bestehende Festzug sich punkt 3 Uhr in Bewegung setzen. In dem Zuge waren folgende Vereine mit ihren Vereinsbannern vertreten: Lippstadt (Schützen-Verein), Brilon, Steinhausen (am stärksten von allen auswärtigen Vereinen), Hörste, Bönninghausen, Lippspringe, Esbeck, Ahden, Verlar, Horn, Lippstadt (südl. Schützenbund), Lipperode, Boke, Holsen, Eikelborn, Salzkotten, Kirchborchen, Scharmede, Nordborchen, Lan­geneicke, Langenstraße, Wewelsburg, Upsprunge, Wewer, Thüle, Lippstadt (Handwerker-Schützenverein), Westereiden, Ehringhausen, Friedhardtskirchen, Mönninghausen, Anröchte, Böckenförde, Erwitte (Junggesellen-Schützenverein), Büren, Störmede, Eickelloh, Rixbeck, Cappel, Geseke. Dieses war die ausge­loste Reihenfolge der Vereine. Im Festzuge erblickte man nicht weniger wie 52 Vereinsfahnen, während 4 Musikkapellen und 15 Trommelkorps für das Marschtempo sorgten. Es mögen wohl 2000 Schützen im Zuge gewesen sein. Ein imposantes Bild edler deutscher Begeisterung und tüchtiger westfälischer Kraft.

Durch die Straßen der Stadt bahnte sich der Zug seinen Weg, zahllose festlich gekleidete Menschen umsäumten die Feststraßen.

Den Glanzpunkt des Festzuges bildeten die herrlichen historischen Gruppen. Angedeutet wurde ihr Kommen schon durch drei Standartenträger, die dem ganzen Festzuge in Panzerhemd und Stahlhelm voraussprengten. Die historischen Gruppen selbst führte ein herkulisch gebauter Feldhauptmann an, das Haupt geschmückt mit dem breiten Wallensteiner Hute, die Schultern umwallt von dem faltigen Kriegsmantel jener Zeit und an der Seite einen gewaltigen Degen. Nicht selten bäumte sich sein Ross, aber es musste dem Druck der Schenkel gehorchen. Ihm folgte eine Schar malerisch gekleideter „Trummenschläger“ mit den bekannten langen Trommeln der alten Zeit. Sie schritten den kugelzerfetzten alten Geseker Sturmfahnen voran. Einen Augenblick wurde man sodann in eine frühere Zeitepoche zurückversetzt. Unter Leitung eines verwegen aussehenden Führers schritt nämlich eine Gruppe mittelalterlicher Armbrustschützen einher. Und dann nahte er heran – ein hochragender Geseke Festungsturm, auf dessen Schießscharten die Kanonen drohend hervorsahen. Neben einem Wächter hielt der kaiserliche Kommandant Otmar von Erwitte scharfe Umschau, den nahenden Feind zu erspähen. Von Zeit zu Zeit gab der Türmer mit seinem Lärmhorn Alarmsignale. Dann stürzten die Besatzungstruppen zu ihren Posten und trieben die stürmenden Scharen des „tollen Christian“ mit knatternden Büchsensalven zurück. Dem Festungswagen folgte unter dem Kommando eines verwetterten, kriegserfahrenen Führers eine geradezu unherrlich wirkende Schar wilder Kriegsgesellen mit langen Hellebarden, ein getreues Abbild jener furchtbaren Kriegszeiten.

Und dann kam er selbst auf einem zweiten Wagen – der tolle Christian in seinem Feldlager! Die kühnste, verwegenste Figur im ganzen Zuge. Mit seinem Stabe grauenvolle Kriegsgestalten, die sich von nichts in der Welt und außer der Welt fürchteten.

Äußerst wirkungsvoll, als Gegensatz zu der schrecklichen Kriegszeit, leitete dann die Schlussgruppe in die heutige friedliche Zeit hinein. Drei liebliche Pagen mit langen wallenden Locken und prächtigen Fanfarenhörnern in den Händen schritten dem Wagen voran, in welchem der diesjährige Jubelkönig der Schützen mit Ihrer Majestät der Königin nebst dem Kronkönig Platz genommen hatte. In drei nachfolgenden Landauern folgte der Hofstaat. Schier endlos war der Festzug beim Einmarsch in den Schützenhof. Immer mehr Vereine und immer mehr hielten unter den Klängen der Musikkapellen ihren Einzug. Mann an Mann standen sie auf dem weiten Platze, dicht um das Podium der Festredner gedrängt.

Nachdem die vorjährige Schützenkönigin Fräulein Hermine Brockhoff das Festgedicht in vollendeter Weise zum Vortrag gebracht hatte, bestieg der Oberst des festgebenden Jubelvereins, Fabrikant Philipp Thoholte, die Rednertribüne. Er führte aus, dass Religion, Vaterlandsliebe und treue Anhänglichkeit an das Herrscherhaus seit altersher die Grundsätze des Schützenvereins gewesen seien, hieran solle auch die Zukunft nichts ändern. Dieses habe man gesehen, als im großen Jahre 1870 während der Schützenfestfeier der Krieg gegen den alten Erbfeind ausbrach. Da seien viele Schützenbrüder willig und gern zu den Fahnen geeilt und hätten den Schützenrock mit dem Waffenrock vertauscht. Es sei ein erfreuliches Ereignis, dass die Jubelfeier des Schützenvereins mit dem Regierungsjubiläum Sr. Majestät zusammen falle. Darauf betrat der Vertreter der Kal. Staatsregierung, Herr Regierungsassessor Hoffmann-Lippstadt, die Rednertribüne, wies auf die Bedeutung des Tages hin, insbesondere auf das bedeutsame Wirken der Schützenvereine für das Wohl des Vaterlandes und verlieh im Auftrage Sr. Majestät des Kaisers dem Schützenbataillon den goldenen Kaiseradler mit der Umschrift:

 

„Wilhelm II. König von Preußen. Der Geseker Schützengesellschaft zu Geseke Regierungsbezirk Arnsberg, zur Feier des 500jährigen Bestehens 1913,“ am schwarzweißen Bande, eine Auszeichnung, wie sie nur ganz wenigen Schützenvereinen unseres Vaterlandes bis jetzt zuteil geworden ist. Als äußeres Zeichen der Anerkennung der Verdienste des derzeitigen Kommandeurs um den Schützenverein und seiner Verdienste um das öffentliche Wohl, überreichte der Herr Regierungsvertreter dem Kommandeur Philipp Thoholte den König­lichen Roten Adlerorden 4. Klasse.

 

Nachdem die Jubelrufe verstummt, beschritt der Oberst nochmals die Tribüne und dankte im Namen aller Schützenbrüder Sr. Majestät für die huldvolle Verleihung der hohen Auszeichnung an das Schützenbataillon. Er betonte, dass dieser Gnadenbeweis ein Ansporn für den Schützenverein sein solle, wie bisher, so immer eine Pflegestätte der Königstreue, der Vaterlandsliebe und der treuen deutschen Gesinnung zu sein. Sodann sprach der Kommandeur noch seinen Dank aus für die ihm persönlich verliehene Auszeichnung.

Darauf ergriff unser Bürgermeister das Wort zu seiner Festrede. Er begrüßt zunächst die zahlreiche Festgesellschaft, die gekommen sind vom Strande der Lippe, von den Höhen des Haarstranges, aus der nahen und weiten Umgebung. Er drückt seine Freude darüber aus, dass so zahlreiche Festteilnehmer erschienen seien und führte dann aus: „Der Verein verdient die Auszeichnung, die ihm heute von Allerhöchster Stelle zu teil geworden ist durch die Verleihung des Schützenadlers. Ruhmbedeckt ist die Vergangenheit, wichtig und bedeutungsvoll seine Aufgabe in der Gegenwart. In einer Zeit, wo Polizei und Kriegswesen noch nicht wie heute organisiert, wo die Raubritter hausten und Kriegshorden sengend und brennend durch die Lande zogen, bildete sich die Schützenbruderschaft, die die Kerntruppe der Bürgerwehr bildete. Unter dem Schutze des hl. Sebastian den sie sich zum Patron‘ erkor, hat sie Jahrhunderte lang die Stadt, Hab und Gut und das Leben der Bürger verteidigt. Als im Jahre 1622 Christian von Braunschweig die Stadt belagerte, stellte sich ihm die Bürgerwehr entgegen und es gelang ihr, Christian von Braunschweig zurückzuschlagen, wenn auch die Fahne zerschossen und manch edler Bürger dabei fiel, so ist ihr doch gelungen, die Stadt zu retten. Noch heute begeht die Bürgerschaft dieses denkwürdige Ereignis durch den Lobetag. Wie die Mauer die Stadt umzog, so umschlang alle das Band der Liebe, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das religiöse Band. Auch andere Aufgaben steckte sich der Verein. Als im Anfange des 16. Jahrhunderts die Pest ausgebrochen, als niemand wegen der damit verbundenen Gefahren die Toten begraben wollte, da war es wieder die Bürgerwehr, die sich dieser Pflicht unterzog, die Toten begrub und ihnen die letzte Ehre erwies. Liebe zur Vaterstadt, zur Heimat, wie zum Vaterlande das sind die Grundzüge, die wie ein goldener Faden sich durch die Geschichte des Jubelvereins hindurchziehen. Dass sie Jahrhunderte lang in solcher Blüte gestanden, dass sie nicht wie so manch andere Stadt vom Erdboden und aus der Geschichte verschwunden ist, verdanken wir der Bürgerwehr also unsere Existenz, unser Hab und Gut. Ruhmbedeckt ist die Vergangenheit, nicht minder wichtig sind die Aufgaben der Gegenwart, die Pflege der Heimatliebe, des Heimatschutzes und der Denkmalspflege. Es sind zwar Begriffe, die man in dem Zeitalter, wo Dampfschiffe und Eisenbahnen die Menschen in die entferntesten Länder führen, lange verkannt hat. Im Verein sollen und haben sie stets eine Pflege gefunden. Die Liebe zur Heimat findet so stets hier eine Hege und Pflege – und soll es auch bleiben immerdar. Es ist zu beklagen, wenn man sieht, wie die Wälder, die Pappeln, die Bäume an den Landmarken, die die Feldflur begrenzen, erbarmungslos zum Opfer fallen, – sieht ­ wie so manches alte Haus mit dem tiefen Giebel verschwindet und dafür moderne Steinklötze errichtet werden. Hier findet der Verein eine dankbare Aufgabe, nämlich die Pflege der Naturdenkmäler.

Immer größer werden die Gegensätze und immer schärfer die Klassenunterschiede, entgegengesetzter die Weltanschauungen, hier muss der Schützenverein ausgleichend wirken. Unter den Schützenmitgliedern darf es keine Feindschaften geben. Liebe zur Heimat und zum Vaterlande muss uns erfüllen und befreien. In dem Jubiläumsjahre 1913 steht das deutsche Volk still und hält einen Rückblick auf das verflossene Jahrhundert. In Wort und Schrift und Bild ehrt man die Sänger der Freiheitskriege. Denkmäler entstehen, um der Jetztzeit die Helden der damaligen Zeit wieder vor Augen zu führen. Ein Jubelruf ging durch die Lande, als wir uns anschickten, im vergangenen Monat das 25jährige Regierungsjubiläum zu feiern. Wir haben Grund am heutigen Tage unsern Kaiser als den Friedensfürsten zu feiern und wir wollen unserm Dank und Ergebenheit gegen unsern Kaiser dadurch Ausdruck verleihen, dass wir ihm ein Huldigungstelegramm übersenden folgenden Inhalts:

„Tausende von Männern der alten Stadt Geseke und nach Tausenden zählende Festteilnehmer von Brudervereinen, versammelt zur Feier des 500jährigen Bestehens der Schützengesellschaft, verbunden mit der Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums, danken für die huldvollst verliehene Auszeichnung des Schützenadlers und geloben alle westfälische Liebe und Treue.“

Hierauf löste sich der Festzug auf und es ergoss sich ein Menschenstrom in die 4 Festhallen und auf den weiten Festplatz, der seines gleichen noch nicht gefunden hat. Leider regnete es mit kurzer Unterbrechung fast den ganzen Sonntag Nachmittag, was jedoch dem Festjubel und Trubel durchaus keinen Abbruch tat.

Der vierte und letzte Festtag, der Montag, verlief auch programmmäßig. Das für den Sonntag bestimmte Feuerwerk, welches wegen des Regenwetters unterbleiben musste, wurde an diesem Abend abgebrannt zur allgemeinen Zufriedenheit. – Welcher Sympathien sich der Geseker Schützenverein erfreut, bewies die Menge von Glückwunschtelegrammen.